Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
tatsächlich Elses Stimme, die ich hörte. Hedy erwähnte gerade, dass der Arzt am Vormittag da gewesen war, und meinte, es brauche seine Zeit, bis ich mich erholt hätte. Als ich merkte, dass Else neben meinem Sofabett stand, öffnete ich die Augen und sah sie an.
»Na, Kindchen, was ist bloß passiert? Geht es denn wieder besser?« Ich nickte nur und schloss erneut die Augen, doch meine Kraft reichte, um nach Helmut zu fragen. »Es geht ihm gut«, meinte Else, »er lässt schön grüßen und fragen, wann du wieder zu uns zurückkommst.« Das Lächeln, das ich aufsetzte, musste nicht gerade Hoffnung bei ihr geweckt haben, denn Else räumte ein, dass ich doch erst richtig gesund werden solle. Sie sei fest davon überzeugt, dass ich sehr gut versorgt werde. Ein Tätscheln meiner Hand war das Zeichen ihres Aufbruchs, danach konnte ich plötzlich wieder durchatmen. Es musste Else wohl ein großer Stein vom Herzen gefallen sein, als sie die Gewissheit bekam, dass ich weiterhin von Hedy und Max versorgt würde. In diesem Dämmerzustand wurde mir plötzlich auch bewusst, dass meine Großeltern nicht ewig für mich da sein würden. Gewiss, Hedy und Max sorgten für mich, als sei ich ihre Tochter, aber es fehlte mir etwas, vor allem Großvater. Jetzt musste ich anfangen, mein Leben selbst zu meistern. Schließlich war ich diejenige gewesen, die so weit von zu Hause weg wollte, um selbstständig zu werden und auf eigenen Füßen zu stehen. Gewiss, Krankheit und andere Sorgen würden oft meine Begleiter sein, aber es kam dann eben auf mich alleine an, wie ich die Sache anpackte, um den richtigen Weg zu finden. Dazu gehörte für mich, einen Schulabschluss zu machen, damit ich es, wenn es sein musste, auch alleine schaffen konnte.
Am Mittwoch, es war schon später Nachmittag, traf Vater ein. Er kam mit dem Auto, da er Geschäftliches mit Privatem verbinden wollte, so erklärte er mir. Aber es gab auch für mich einiges zu regeln, und so war man nicht auf die zeitraubenden öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Noch war ich sehr schlapp. Ich lag weiterhin auf meinem Bettsofa und meine Versuche, etwas länger aufzustehen, scheiterten an meiner Kraftlosigkeit. Aber das Gefühl, dass es doch wieder aufwärtsging, regte sich stark in mir. Außerdem bestand Hoffnung auf Sondermarken. Diese wurden in der zweiten Wochenhälfte eingelöst. Hedy hatte mir bisher noch nicht erzählt, was sie mit Else besprochen hatte. Sie brachte jedoch einiges an Nachthemden und Unterwäsche von dort mit. Meiner Einschätzung nach konnte nicht mehr allzu viel in meinem Schrank bei Weilers sein.
Vater packte sehr umständlich etwas aus dem Koffer. Ohne Worte legte er mir den neuangefertigten Mantel über das Bett, sodass ich ihn greifen konnte. Er war königsblau, eine Farbe, die mich schon immer begeistert hatte und die ich mir in Form eines Kleidungsstückes heimlich gewünscht hatte. Mir fehlten einfach die Worte. Ich murmelte etwas vor mich hin. Vater merkte meine Unsicherheit, nahm beruhigend meine Hand.
»Lass es gut sein, mein Mädchen, lass es gut sein.« Es gab auch sonst noch gute Nachrichten für mich und, wie es mir schien, betraf es auch Vater, Hedy und Max. Hedy und Vater fuhren am nächsten Tag nach Meißen, um mit der Schulleitung und den Behörden alles zu besprechen. Es musste geklärt werden, ob die Möglichkeit bestand, anhand des ärztlichen Attestes drei Monate vor Abschluss der Haushaltslehre von dem Vertrag entbunden zu werden. Diese Lehre stand für das abzuleistende Pflichtjahr, das unbedingt eingehalten werden musste, um nicht zu einem kriegsnahen Dienst zwangsverpflichtet zu werden.
Max und ich blieben zu Hause. Damit wir nicht Hunger leiden müssten, hatte Hedy einen großen Topf Hühnersuppe mit reichlich Gemüse und Nudeln gekocht. Max und ich sollten mit dem Essen nicht warten, je nachdem, wann sie die richtigen Gesprächspartner antrafen, konnte es sehr lange dauern.
Sie hatten mit ihrer Vermutung Recht behalten. Sie wurden von einem zuständigen Beamten zum nächsten gereicht, der eine meinte dies, der andere jenes, bis Vater endlich nach langem Warten den Schuldirektor Böhmer zu sprechen bekam. Diesem erläuterte er anhand des Attestes, dass ich wohl den Anforderungen der Haushaltslehre nicht mehr gewachsen sei. Vater erhielt das Versprechen von Herrn Böhmer, dass er die Angelegenheit auf den richtigen Weg bringen werde. Damit die abgebrochene, aber fast beendete Lehre als Pflichtjahr akzeptiert würde, sollte
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