Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
deiner.«
Auf dem Nachhauseweg konnte ich nur an den bevorstehenden Abschied denken. Wenn es auch noch fast zwei Wochen waren bis dahin. Aber dann würde es leer sein in unserem Häuschen. Dann gab es kein fröhliches Lachen mehr. Kein gemeinsames Essen, das aus zusammengetragenen und erstandenen Lebensmitteln zubereitet wurde. Weihnachten würde für Gisela und mich nicht gerade ein Fest der Freude werden. Die Freundin litt genau wie ich. Sie und Laurenz hatten ebenso Pläne für später gemacht. Gemeinsam malten wir uns ein Wiedersehen in unserem Häuschen zu viert aus, das dann gebührend gefeiert werden sollte.
Wir nahmen uns nun fest vor, für diese kurze Zeit nicht dauernd an den Abschied zu denken. Es fiel uns zwar schwer, aber dennoch gelang es uns immer wieder. Zu unserem Ärger wartete fast täglich Grabowsky auf uns, um den Schulweg gemeinsam mit uns zu gehen. Meist schwieg er. Wenn er sprach, stellte er Fragen und ließ nicht locker, mich zu irgendetwas einzuladen. Wenn ich ihm sagte, dass ich mit meinem Freund verabredet sei, zeichnete sich auf seinem nicht gerade hübschen Gesicht ein scheußliches Grinsen ab. Es war beinahe abstoßend. Das Einzige, was uns blieb, war die Hoffnung, dass er irgendwann einmal aufgeben würde.
Eine vorweihnachtliche Stimmung kam nirgends auf. Viele Familien hatten Gefallene zu beklagen oder Angehörige, die bei Bombenangriffen ums Leben gekommen waren. Hunger war unser ständiger Begleiter, ebenso die Angst. Immer mehr Flüchtlinge trieb es in eine ungewisse Zukunft. Dabei war die Gegenwart schon schlimm genug. Hunger und Krankheiten vereint waren unsere starken Gegner. Viele Menschen unterlagen ihnen.
Unser täglich Brot gib uns heute!
Diese dringende Bitte zum Himmel – wie viele Menschen mögen sie täglich nach oben geschickt haben? Wie viele Menschen hatten aufgegeben zu beten, weil ihre Gebete offenbar nie erhört wurden? Aufgegeben, weil die Kraft fehlte und sie einfach nicht mehr konnten. Wie viele sahen keinen Sinn mehr darin, weiterzukämpfen, weil sie alles verloren hatten, das Leben ein Trümmerhaufen war. Es war so kein Leben mehr, bestimmt nicht lebenswert. Wozu überhaupt noch leben? Man konnte glauben, diese Welt sei die Schöpfung eines dunklen Gottes, dessen lange Schatten wir verlängern.
Kurz bevor der endgültige Abschied kam, nutzte Karl eine Gelegenheit, als wir für kurze Zeit alleine waren, um mich zu umarmen.
»Am liebsten würde ich dich mit zu mir nach Hause nehmen. Es ist alles so ungewiss. Wer weiß, was alles auf uns zukommt. Pack doch einfach deine Sachen und komm mit mir nach Weilheim.«
Überrascht sah ich Karl an und wandte ein: »Was würden denn deine Eltern dazu sagen? Sie kennen mich doch gar nicht?«
»Das ließe sich ändern, außerdem hätten sie für meine Entscheidung volles Verständnis.«
»Es geht nicht, Karl. Dein Vorschlag ist ehrlich und lieb, aber ich kann Gisela jetzt doch nicht alleine lassen. Das wäre unrecht, sie muss sich auch von Laurenz verabschieden. Wir brauchen uns danach gegenseitig. Hab bitte dafür Verständnis. Vielleicht kann ich irgendwann nachkommen!«
»Ich verstehe dich. Eigentlich hatte ich keine andere Antwort erwartet, aber wenn es hart auf hart geht, hier ist meine genaue Heimatadresse und die Telefonnummer. Wann immer du dich entscheidest, hier wegzugehen, du bist bei uns willkommen, ich warte auf dich.«
»Danke, Karl, es ist gut zu wissen, dass du für mich da bist.«
Es war heute nur ein kurzer Besuch von Karl und Laurenz. Das Schwerste stand uns noch bevor. Karl hatte scheinbar noch keine Schwierigkeiten nach Weilheim/Tübingen durchzukommen, aber Laurenz? Seine Heimat war im Elsass. Er wurde zwei Tage vor Karl aus dem Lazarett entlassen. Karl gestand mir, dass Laurenz den Marschbefehl schon erhalten hatte. Mit dem Bestimmungsort, wo er sich melden musste. Aber Gisela sollte es jetzt noch nicht wissen, er wollte es ihr dann in einem Brief mitteilen. Gisela fuhr mit Laurenz nach Dresden, um noch einige schöne Momente mit ihm zu verbringen und um dann Abschied zu nehmen. Ein schweres Wort, es gehörte schon zum täglichen Leben.
Die Seelen leiden und werden verletzt. Die Narben, die dabei entstehen, sitzen tief und schmerzen.
Als Gisela zurückkam, war es an mir, sie zu trösten. Sie war ganz in sich gekehrt, wollte eigentlich nur alleine sein. Ich ließ sie gewähren und machte Frau Rudolph einen Besuch, um ihr zu berichten, dass Giselas Freund am nächsten Tag abkommandiert
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