Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
nicht so sehr die Kälte. Das kleine Fenster war völlig vereist. Man konnte nicht nach draußen sehen. Trotzdem waren wir froh, hier zu sein. Alleine in unserem Häuschen zu sein, das wäre für uns bedrückend gewesen. Auch Max und Hedy waren sehr nachdenklich. Zwar wurde nicht über Krieg und Frieden diskutiert, doch fühlten wir alle, dass es die längste Zeit gedauert hatte.
Spürten Max und Hedy auch, dass es unser letztes gemeinsames Weihnachten war? Bei einer Gelegenheit nahmen mich die beiden zur Seite und übergaben mir das Sparkassenbuch, das mein Vater für Unvorhergesehenes hinterlegt hatte. Sie meinten, ich sollte es gut verwahren für alle Fälle. Was auch geschah, so sei ich doch für eine gute Weile versorgt. Es könnte ja sein, dass es schwierig würde, sich gegenseitig zu besuchen und zu helfen.
Nach den Feiertagen fuhren Gisela und ich zurück nach Radebeul. Für mich war ein Brief von Karl angekommen. Er war datiert mit 23.12.1944. Er schrieb mir, dass er gut zu Hause angekommen sei. Sein Bruder hätte auch Urlaub und die Freude sei groß, dass die Familie mal wieder zusammen war.
Max steckte mir an Weihnachten eine Schachtel Zigaretten zu und meinte, falls ich ein Päckchen für Karl packen würde, sollte ich ihn grüßen. Dies wollte ich umgehend nachholen. Ich wollte erst einmal abwarten, bis ich von ihm Post bekam. Nach dem Erhalt seines Briefes verpackte ich nun die Zigaretten zusammen mit den Plätzchen, die Frau Rudolph für Gisela und mich, schön verpackt, auf unseren Wohnzimmertisch gestellt hatte. Nur von meinen Angehörigen hatte ich noch nichts gehört. Es klappte eben alles nicht mehr so richtig. Oft ging auch Post verloren. Wen wunderte das? So vieles lief schief, wurde aber auch gar nicht mehr wahrgenommen. Der tägliche Kampf ums Überleben stumpfte die Menschen langsam ab. Zwischen Weihnachten und Neujahr wurden wir häufig eingesetzt, um den Flüchtlingen zu helfen. Es gab schon bald nichts mehr, womit man diese Menschen unterstützen konnte. Es war für uns auch eine Qual, mit so viel Elend konfrontiert zu werden. Aber der Krieg dauerte weiter an.
Mitte Januar bekam ich dann eine Postkarte von Karl:
›Meine liebe Petra!
Du wirst dich wundern, von Tübingen Grüße von mir zu erhalten. Seit fast zwei Wochen liege ich hier infolge meiner Kopfverletzung. Und erst heute kann ich die Feder in die Hand nehmen.
Wie geht es dir? Viele liebe Grüße sendet Dein Karl.‹
In meiner großen Freude habe ich den Inhalt nicht so genau realisiert. Karl hatte geschrieben, nur das zählte. Das alleine war wichtig, für mich jedenfalls. Aber nach Tagen machte sich doch Sorge breit. Ich las immer wieder die Postkarte und stellte dann plötzlich fest, dass die Anschrift und der Absender eine andere Handschrift trugen. Sollte es doch schlimmer sein, als ich bisher angenommen hatte? Hatte Karl mit seiner Vermutung recht, dass er wahrscheinlich nicht mehr zum Fronteinsatz abkommandiert würde? Drei- bis viermal wöchentlich schrieb ich ihm in das Lazarett. Am 22.01.1945 schrieb ich unter anderem, dass ich immer noch keine Nachricht von meinen Angehörigen hätte und ich mir Sorgen um sie machte. Ach, wenn doch bloß alles vorüber wäre und er wieder nach Dresden kommen könnte! Am 26.01.1945 schrieb ich ihm, dass der Schulleiter mir etwas Blut aus dem Finger gepikst hatte, das ich anschließend untersuchen musste. Eine Stunde zuvor kam eine Frau in unser Labor und wollte ihren Harn auf Zucker geprüft haben. Das hatte ich auch übernommen. Das Resultat war nicht erfreulich. Ich errechnete durch Polarisieren 4% Zucker.
So hielt ich Karl auf dem Laufenden, aber Post kam keine mehr von ihm. Giselas Eltern waren auch besorgt. Sie schrieben in einem Brief, dass sie es für ratsam hielten, dass Gisela zurück nach Bergen käme. Die Ostfront rückte immer näher. Man konnte noch nicht einschätzen, noch weniger hörte man etwas darüber, wie weit die Alliierten vorgestoßen waren. Doch Gisela zögerte mit einer Entscheidung. Sie erwähnte, dass ich ja auch ihretwegen in Radebeul geblieben sei und deshalb das Angebot von Karl, mit ihm nach Hause zu fahren, nicht angenommen hätte. Ja, was war richtig, was falsch? Wohin man auch flüchtete, überall tobte der Krieg, überall waren Elend und Bombenangriffe. Nun kamen auch zu uns die Bomber, die in wenigen Stunden unser Dresden in Schutt und Asche legten.
13. Februar 1945, gegen 22 Uhr begannen die Sirenen zu heulen. Gisela und ich standen an der
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