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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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würde und auch Karl sich morgen von mir verabschieden müsse, um seinen Heimaturlaub anzutreten. Was dann wurde, konnte man nur abwarten.
    Als ich zurück in unser Häuschen kam, war Gisela schon gefasster. Sie schlug sogar vor, dass wir mit Karl morgen noch zusammen zu Abend essen könnten.
    »Warten wir mal ab, Gisela. Wir können später immer noch darüber reden.« Die Entscheidung wurde uns abgenommen. Karl hatte wenig Zeit. Es gab noch Formalitäten für ihn zu erledigen. Berichte, die er über seine Verwundung mitnehmen sollte, um notfalls an den Feiertagen in dem nahegelegenen Reservisten-Lazarett Tübingen Hilfe zu bekommen. Zwar meinte Karl, dass es nicht so weit kommen würde, aber wusste man es so genau? Jedenfalls freute er sich sehr auf den Heimaturlaub und hoffte sogar, seinen Bruder auch zu Hause anzutreffen.
    Gisela umarmte Karl, als er sich von ihr verabschiedete. Dann war ich an der Reihe. Ich brachte ihn bis zur Straßenbahnhaltestelle. Wortlos lief ich neben ihm, mein Herz wog schwer. Eine düstere Wolke umnebelte es. Plötzlich blieb Karl stehen. Inzwischen war es schon dunkel. Er nahm mich spontan in seine Arme, drückte mich an sich und streichelte mir über das Haar.
    Er nahm meinen Kopf in seine Hände, sah mir in die Augen und flüsterte:
    »Bleib so, wie du bist, das wünsche ich mir.« Dann küsste er mich zärtlich, schlang einen Arm um mich und so gingen wir weiter.
    »Wir werden uns nicht mehr lange verabschieden können. Es würde für uns auch umso schwerer sein.« Er flüsterte diese Worte.
    Wie recht Karl mit seiner Vermutung hatte, merkten wir, als die Bahn schon im Ankommen war. Nochmals ein rascher Händedruck und Karl stieg ein. Er winkte flüchtig, langsam, mit einem Ausdruck in den Augen, als wolle er mir sagen, dass ich mich mit der Trennung nun abfinden müsse.

10

    Das Leben ging weiter. Gisela und ich besuchten täglich unsere Schule, waren fleißig, trugen unser Leid gemeinsam. Aber wir redeten nicht über Karl und Laurenz, wir wollten den Schmerz nicht täglich neu bekämpfen müssen. Wir ließen einfach die Erinnerung in unser Herz und klammerten uns daran fest, so fest, dass die Hoffnung wuchs, alles würde gut, wir würden uns wiedersehen.
    Einmal wöchentlich fuhr ich zu Sterns. Friedels Hoffnung, ihren Mann, Franzls Vater, bald wiederzusehen, war bei jedem Besuch deutlicher zu spüren. Sie war so voller Zuversicht, dass sie strahlte und, wie es mir schien, jünger wirkte, als sie in Wirklichkeit war, obwohl das Grau in ihren Haaren, das bisher überfärbt wurde, inzwischen deutlich erkennbar war.
    Sie trug ihr Haar zu einem Knoten im Nacken zusammengesteckt. Woher nahm sie nur die Kraft? All die Jahre erhielt sie kein Lebenszeichen von ihrem Mann, aber sie glaubte fest daran, dass sie bald wieder zusammen sein würden. Ihre Stärke wuchs in diesem Glauben.
    Auch in Niederau, bei Hedy und Max, machten sich die Sorgen breit. Sie hörten von Flüchtlingen, die aus dem Osten kamen, von Erlebtem, woran man nicht zu denken wagte. All das konnte auch hier passieren. Viele der Flüchtlinge wurden auch in Niederau einquartiert und nicht gerade willkommen geheißen. Das Ausmaß der Tragödien, das unendliche Leid, in einer Zeit, wo Rache und Vergeltung die Oberhand hatten, das können nur die Beteiligten ermessen. Dazu der harte Winter, der gnadenlos regierte, vereint mit dem Hunger.
    Die Heimat war verloren. Nun war man in der Fremde bestenfalls geduldet. Trotzdem wurde gerungen und gekämpft, um einen neuen Tag zu erleben. Aber nicht bei allen Menschen starb die Hoffnung, und gerade diese Menschen waren in der Lage, anderen Mut zu machen, auch wenn es so aussah, als sei doch alles hoffnungslos. Diese Kraftspender gab es überall. Es waren meist Menschen, die selbst in ihrem unsagbaren Leid Trost und Hilfe erfahren hatten. Aber diese Hilfe war es, die es ihnen ermöglicht hatte weiterzuleben. Viele Menschen verloren nach all dem Erlebten und den erlittenen Verlusten, auch der menschlichen Würde, den Glauben an eine lenkende Schöpfung. Wer konnte es ihnen verdenken?
    Es war Weihnachten im Jahr 1944. Gisela und ich waren an beiden Feiertagen bei Hedy und Max. Von Giselas Eltern kamen mit einem lieben Weihnachtsbrief Abschnitte von der Lebensmittelkarte. Diese lösten wir ein und nahmen alles zur Verschönerung unserer gemeinsamen Feiertage mit. Mit etwas mehr Essen als bisher. In meiner ehemaligen Schlafkammer schliefen Gisela und ich in einem Bett. So spürten wir auch

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