Als gaebe es kein Gestern
Bilder von ihr, Livia … zusammen mit Arvin, Vanessa oder Karen. Hochzeitsbilder … mindestens zehn Stück … Porträtfotos von ihr selbst …
Livias Hände waren fieberhaft am Werk und steckten die Bilder wie von selbst von vorne nach hinten. Zuerst war es der reinste Schnelldurchlauf, erst als sie alle Bilder einmal kurz gesehen hatte, begann sie, bei jedem länger zu verweilen. Die Hochzeitsfotos waren fast wie aus dem Bilderbuch. Livia und Arvin auf zwei Schaukeln … Livia und Arvin, wie sie rechts und links hinter einem Baum hervorlugten … Livia und Arvin Hand in Hand daherschreitend …
Livia starrte auf die ineinanderverschlungenen Hände. Fast kam es ihr so vor, als könnte sie Arvins Hand immer noch in ihrer spüren …
Nach den Hochzeitsfotos kam eine Porträtaufnahme, bei der Livia beinahe das Atmen vergaß. Fasziniert starrte sie sie an.
Arvin hatte recht: Sie war wirklich eine Schönheit gewesen! Das kam auf diesem Bild noch deutlicher heraus als auf dem Bild, das man ihr im Krankenhaus gegeben hatte … oder auf dem Bild, das sie bei Frau Schneider gesehen hatte. Ausdrucksstarke dunkle Augen, von pechschwarzen, langen Wimpern umrahmt, eine feine, aber lange Nase, ein hübsch geschwungener Mund. Die Haare waren wahrscheinlich getönt, jedenfalls glänzten sie in einem kräftigen Kastanienbraun. Sie umrahmten gleichmäßig und glatt das hübsche Gesicht.
Je länger Livia das Bild betrachtete, desto unglücklicher wurde sie. Woran lag es nur, dass sie heute ganz anders aussah?
„Es wurde kurz vor unserer Hochzeit aufgenommen“, sagte Arvin leise.
Livia starrte es weiterhin an. Kein Wunder, dass er sie wunderschön gefunden hatte … „Sie haben mich nicht wieder so hinbekommen“, flüsterte sie unglücklich.
„Wer?“
„Die Schönheitschirurgen.“
„Dafür sehen deine Haare jetzt viel besser aus als früher.“
„Was sind schon Haare?“, seufzte Livia.
„Also, ich finde, sie machen eine Menge aus …“
„Wirklich?“, flüsterte Livia hoffnungsvoll. Dann sagte sie mit zitternder Stimme: „Kannst … du mir einen Spiegel holen?“
Arvin nickte. „Ich schätze, das ist wohl notwendig.“ Dann erhob er sich und holte einen kleinen Handspiegel aus dem Bad.
Livia riss ihn ungeduldig aus seiner Hand und hielt das Foto direkt neben den Spiegel.
„Die Nase ist ganz gut geworden“, flüsterte sie, nachdem sie beides eine Weile verglichen hatte. Dann ließ sie die rechte Hand, die das Foto gehalten hatte, mit einem Seufzer sinken. Es fehlte einfach an der entsprechenden Ausdauer.
Arvin bemerkte es und hob die Hand wieder an, indem er sie mit seiner Linken unterstützte.
Livia schluckte und hatte auf einmal Mühe, sich auf Spiegel und Foto zu konzentrieren. Arvins Hand fühlte sich warm und unglaublich stark an. Ein leichtes Zittern durchfuhr sie.
„Der Mund“, sagte sie, „findest du nicht auch, dass er vorher … ich weiß auch nicht … irgendwie anders war?“
Arvin zuckte die Achseln. „Ein bisschen vielleicht.“
„Und die Augen …“, sagte Livia und verlor sich im blauen Meer ihrer Vergangenheit. „Darin erkenne ich mich überhaupt nicht wieder. Nur die Farbe stimmt. Aber alles andere …“ Und dann brach es ungehemmt aus ihr hervor: „Sie waren vorher tausendmal schöner!“
Aber Arvin schüttelte entschieden den Kopf. „Das stimmt nicht, Livia. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind jetzt viel schöner.“
„Bist du blind?“, fuhr Livia ihn an. „Guck dir doch mal diese kugelrunden Edelsteine an! Damit hätte ich jeden Schönheitswettbewerb gewonnen.“
„ Du bist blind“, beharrte Arvin. „Diese Augen“ – er zeigte auf das Foto – „waren kalt und von sich selbst überzeugt. Aber diese hier“ – er deutete auf die Augen im Spiegel – „sind warm, bescheiden und freundlich. Sie gefallen mir hundertmal besser.“
In Livias Hals bildete sich ein dicker Kloß. „Wirklich?“, fragte sie heiser.
„Wirklich!“, bestätigte Arvin.
Im nächsten Moment öffnete sich Livias Hand und das Foto segelte tanzend zu Boden. Gleichzeitig drehte sie ihre Hand und versuchte, sie auf Arvins zu legen. Es war ihr fast gelungen, als Arvin aufsprang und die Berührung dadurch urplötzlich beendete. „Ich … die …“ Er stolperte rückwärts. „… arbeiten“, stammelte er mühsam. „Ich muss noch arbeiten.“ Er prallte hart gegen den Sessel, wirbelte herum und floh nunmehr vorwärts. „Du kannst die Bilder behalten“, rief er noch, dann war er
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