Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
Vom Netzwerk:
in Paris.« Aber an etwas anderes schien er sich kaum erinnern zu können. Es ist schade, dachten die Kinder, daß Papa in praktischen Dingen manchmal so ungenau ist. Aber die Tatsache, daß die Wohnung einen Balkon hatte, hörte sich großartig an.
    Die Reise nach Paris dauerte einen ganzen Tag, und beinahe wären sie gar nicht hingekommen. Bis Basel ging alles glatt, aber in Basel mußten sie umsteigen, weil Basel an der Grenze der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs liegt. Sie kamen verspätet an und hatten nur noch ein paar Minuten, um den Anschlußzug nach Paris zu erreichen.
    »Wir müssen uns beeilen«, sagte Papa, während der Zug in die Station einfuhr.
    Glücklicherweise fanden sie sofort einen Träger. Er packte ihr Gepäck und warf es auf seinen Handkarren.
    »Der Zug nach Paris! Schnell!« rief Papa, und der Gepäckträger galoppierte los und sie alle hinterdrein.
    Anna hatte Mühe, den Gepäckträger im Auge zu behalten, während er sich durch die Menschenmenge wand, und Max und Papa waren schon dabei, ihm das Gepäck auf den anderen Zug heben zu helfen, als Anna sie einholte. Sie blieb einen Augenblick stehen und holte Atem. Der Zug mußte gleich abfahren, denn überall lehnten Leute aus den Fenstern und verabschiedeten sich von ihren Freunden auf dem Bahnsteig. Gleich neben ihr wäre ein junger Mann beinahe aus dem Zug gestürzt, weil er sich weit aus dem Fenster beugte, um seine Freundin noch einmal leidenschaftlich zu umarmen. »Nun geh jetzt«, sagte das Mädchen und drückte ihn in den Zug zurück. Als er sich aufrichtete, kam der untere Rand des Fensters in Sicht. Dahinter steckte ein Schild mit der Aufschrift STUTTGART.
    »Papa«, schrie Anna gellend, »das ist der falsche Zug. Er fährt nach Deutschland!«
    »Guter Gott!« sagte Papa. »Holt schnell das Gepäck raus!« Er und Max zerrten die Koffer heraus, so schnell sie konnten. Da hörten sie einen Pfiff.
    »Laß nur«, rief Papa und riß Max zurück, obwohl noch ein Koffer im Zug geblieben war.
    »Das ist unser Koffer«, schrie Max, »bitte geben Sie uns unseren Koffer!« und in dem Augenblick, in dem sich der Zug in Bewegung setzte, schob ihn der junge Mann, der gerade seine Freundin verabschiedet hatte, auf den Bahnsteig hinaus. Er landete vor Annas Füßen, und da standen sie, mitten zwischen ihrem Gepäck und sahen den Zug aus der Station hinausdampfen.
    »Ich habe Ihnen doch deutlich gesagt, zum Zug nach Paris!« sagte Papa und sah sich ärgerlich nach dem Gepäckträger um. Aber es war keine Spur von ihm zu entdecken. Er war verschwunden.
    »Wenn wir in den Zug gestiegen wären, hätten wir dann noch aussteigen können, bevor wir nach Deutschland kämen?« fragte Anna.
    »Möglicherweise«, sagte Papa. »Falls wir bemerkt hätten, daß wir im falschen Zug sitzen.« Er legte den Arm um ihre Schulter. »Jedenfalls bin ich sehr froh, daß du es gemerkt hast, bevor wir eingestiegen sind...«
    Es dauerte einige Zeit, bis sie einen anderen Gepäckträger gefunden hatten, und Papa meinte, daß sie den Anschluß nach Paris verpaßt hätten, aber tatsächlich erreichten sie ihn noch rechtzeitig. Die Abfahrt des Zuges war wegen der Verspätung auf der Schweizer Linie verschoben worden. Seltsamerweise hatte der erste Gepäckträger davon nichts gewußt.
    Als sie im Zug nach Frankreich saßen und auf seine Abfahrt warteten, sagte Max plötzlich: »Papa, glaubst du, daß uns der Gepäckträger absichtlich an den falschen Zug gebracht hat?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Papa. »Es kann einfach ein Versehen gewesen sein.«
    »Ich glaube nicht, daß es ein Versehen war«, sagte Max. »Ich glaube, er wollte die tausend Mark verdienen, die auf deinen Kopf stehen.«
    Einen Augenblick saßen sie da und dachten darüber nach, was geschehen wäre, wenn sie nach Deutschland gefahren wären. Dann ertönte ein Pfiff, und der Zug ruckte an.
    »Nun«, sagte Papa, »wenn dieser Gepäckträger wirklich die tausend Mark verdienen wollte, dann hat er ein schlechtes Geschäft gemacht. Ich habe keine Zeit gehabt, ihm ein Trinkgeld zu geben.« Er lächelte und lehnte sich in seinem Sitz zurück. »Und in ein paar Minuten werden wir - und das haben wir Anna zu verdanken - nicht in Deutschland, sondern in Frankreich sein. Und wir haben sogar - und das verdanken wir Max - all unser Gepäck.« Er hob in lächelnder Bewunderung die Hände. »Gott!« sagte Papa. »Was habe ich für begabte Kinder.«
    Als sie in Paris ankamen, war es schon dunkel, und sie waren sehr

Weitere Kostenlose Bücher