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Als ich im Sterben lag (German Edition)

Als ich im Sterben lag (German Edition)

Titel: Als ich im Sterben lag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Faulkner
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habt, ihn rüberzufahren …» Seine Augen sind fast weiß, wie zwei gebleichte Holzspäne in seinem Gesicht. Cash sieht ihn an.
    «Wir bringen ihn rüber», sagt er. «Ich sag dir jetzt, was du tust. Du reitest zurück, gehst zu Fuß über die Brücke, gehst am andern Ufer wieder runter und kommst uns mit dem Seil entgegen. Vernon nimmt dein Pferd mit und versorgt es, bis wir zurück sind.»
    «Geh zum Teufel», sagt Jewel.
    «Du nimmst das Seil, kommst am anderen Ufer runter und hältst dich bereit», sagt Cash. «Drei können hier nicht mehr tun als zwei. Einer lenkt den Wagen, der andere sichert ihn.»
    «Scher dich zum Teufel», sagt Jewel.
    «Jewel nimmt das Ende vom Seil, geht ein Stück stromaufwärts rüber und macht es fest», sage ich. «Würdest du das tun, Jewel?»
    Jewel sieht mich mit kalten Augen an. Dann sieht er rasch zu Cash, dann wieder zu mir. Sein Blick ist gespannt und hart. «Ist mir alles scheißegal. Wenigstens tun wir dann was. Hier rumsitzen, keinen gottverdammten Finger rühren …»
    «Machen wir’s so, Cash», sage ich.
    «Müssen wir wohl», sagt Cash.
    Der Fluss selbst ist keine hundert Yard breit, und Pa und Vernon und Vardaman und Dewey Dell sind das einzige, das sich abhebt von dieser ungeheuren monotonen Trostlosigkeit, die sich auf schreckerregende Weise ein wenig von rechts nach links neigt, als hätten wir den Punkt erreicht, da die Bewegung der verwüsteten Welt sich kurz vorm endgültigen Absturz beschleunigt. Sie wirken geschrumpft. Es ist, als sei der Raum zwischen uns Zeit: etwas Unwiderrufliches. Als laufe die Zeit nicht mehr in gerader, sich verkürzender Linie vor uns her, sondern als spule sie sich zwischen uns ab wie eine gedrillte Schnur, die Entfernung die sich verdoppelnde Länge der Schnur und nicht der Abstand zwischen uns. Die Maultiere stehen still, die Vorderbeine schon ein Stück auf der schräg abfallenden Böschung, den Rumpf hochgestellt. Auch sie atmen jetzt mit einem tiefen Stöhnen; als sie einmal zurücksehen, wischt ihr Blick über uns hinweg mit einer wilden, traurigen, abgrundtiefen Verzweiflung, als hätten sie im dunklen undurchdringlichen Wasser schon den Schatten der Katastrophe gesehen, von der sie nicht sprechen und die wir nicht sehen können.
    Cash setzt sich wieder auf den Wagen. Er legt seine Hände flach auf Addie und rückt sie ein wenig hin und her. Sein Gesicht ist ruhig, nach unten gewandt, abwägend, besorgt. Er nimmt seinen Werkzeugkasten hoch und zwängt ihn vorn unter den Sitz. Zusammen schieben wir Addie nach vorn und verkeilen sie zwischen Werkzeugkasten und Wagenboden. Dann sieht er mich an.
    «Nein», sage ich. «Ich bleibe. Es könnten zwei nötig sein.»
    Er holt aus dem Werkzeugkasten sein aufgerolltes Seil, schlingt es zweimal um die Runge und gibt das eine Ende mir, ohne es zu verknoten. Das andere Ende gibt er Jewel, der es an seinem Sattelknauf festmacht.
    Er muss das Pferd in die Strömung hineinzwingen. Es setzt an, geht hoch, den Kopf in den Nacken geworfen, zur Seite drängend, sich bäumend. Jewel rückt ein wenig nach vorn, die Knie angezogen; wieder schweift sein rascher, wachsamer, ruhiger Blick über uns hinweg. Er lässt das Pferd in die Strömung hinunter und spricht ihm, beruhigend murmelnd, zu. Das Pferd rutscht aus, versinkt bis zum Sattel, kommt unter heftig wogendem Wasser wieder auf die Beine, und die Wellen schlagen gegen Jewels Schenkel.
    «Pass auf», sagt Cash.
    «Ich bin jetzt wieder auf der Furt», sagt Jewel. «Ihr könnt kommen.»
    Cash nimmt die Zügel und lenkt das Gespann vorsichtig in den Fluss hinein.
    Ich fühlte, wie die Strömung uns ergriff, und ich wusste, dass wir auf der Furt waren, denn nur der schlüpfrige Kontakt sagte uns, dass wir uns überhaupt voranbewegten. Was vorher eine glatte Wasserfläche gewesen war, hatte sich jetzt in eine Folge von Tälern und Hügeln verwandelt, die sich um uns senkten und hoben, gegen uns stießen und uns in den wenigen Augenblicken, da wir Festigkeit unter uns fühlten, leicht und spielerisch anrempelten. Cash sah sich nach mir um, und da wusste ich, dass wir verloren waren. Mir war aber noch nicht klar, was das Seil sollte, bis ich den Baumstamm sah. Er kam aus dem Wasser emporgeschossen und stand einen Augenblick aufrecht auf dieser wogenden, sich hebenden und senkenden Wüste wie Christus. Spring ab und lass dich von der Strömung zur Flussbiegung treiben, sagte Cash. Das schaffst du ohne große Mühe. Nein, sagte ich, ich werde dabei

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