Als ich lernte zu fliegen
ihre feuchten Augen blickt, sieht er, dass guten Menschen manchmal auch Gutes widerfährt, sieht, dass alles auf der Welt möglich ist, sogar für ihn.
Schlaftabletten sammeln
Ich heiße Yasmin Murphy und habe mich über die effektivsten Todesarten informiert, die meine inneren Organe am wenigsten schädigen, denn ich möchte, dass sie entnommen und gespendet werden können. Der Gedanke deprimiert mich nicht weiter, da eine Organspende eine freundliche Geste ist, die vielen Menschen das Leben retten und manche Familien sehr glücklich machen wird. Leider erfordern die effektivsten Todesarten zu viel Geschick; ich glaube nicht, dass ich mich richtig erhängen könnte, weil es mir an Fingerfertigkeit und Koordinationsvermögen fehlt; deshalb kann ich auch nicht nähen oder stricken. Wahrscheinlich würde ich nur langsam ersticken, was für meine Organe immer noch akzeptabel wäre, für mich aber wohl schmerzhaft.
Stattdessen habe ich mich für Tabletten entschieden. Das ist nicht ideal, aber ich glaube, dass trotzdem einige meiner Organe genutzt werden können, vorausgesetzt, sie werden schnell genug entnommen. Das wird der Fall sein, weil ich vorhabe, Asif schriftliche Anweisungen zu hinterlassen; normalerweise führt er solche Anweisungen immer sehr zuverlässig aus. Ich sammle seit einiger Zeit meine Schlaftabletten und habe jetzt genug davon. Ich freue mich sogar darauf, mich einmal richtig ausruhen zu können, weil ich nachts nicht gut schlafe, und selbst wenn ich schlafe, träume ich diesen Traum, den ich nicht mag, so dass ich morgens nicht sehr ausgeruht bin.
Es ist mir gelungen, ein weiteres Vorhaben meiner Checkliste zu verwirklichen, das ich eigentlich nicht für möglich gehalten hatte: Babysitter zu sein. Das ging, weil Asif eine neue Freundin hat, die er im Büro kennengelernt hat; sie hat eine lustige kleine Tochter, die Melody heißt, oft grundlos lacht und nur weint, wenn sie sich beim Herumrollen den Kopf anstößt. Die beiden kommen jedes zweite Wochenende, immer um dieselbe Zeit, was mir gut gefällt, denn Melody lebt nach einem genauso strengen Zeitplan wie ich, sie isst, schläft und badet jeden Tag um die gleiche Zeit; möglicherweise der Grund, warum sie so glücklich ist, da sie nie besonders hungrig, müde oder schmutzig werden kann. Manchmal spiele ich ganz allein mit Melody, wenn Asif und Mei Lin in der Küche Tee kochen; dann lese ich ihr Pappbilderbücher vor, die sehr einfach und sehr bunt sind, immer wieder dieselben, weil sie Wiederholungen genauso gern mag wie ich. Ich mache ihr auch meine Schattentiere vor; das traurige, das glückliche und das freche Häschen gefallen ihr besonders gut, dann lacht sie wie verrückt. Ich vermute sogar, dass sie ein bisschen dumm ist, weil sie so viel über Kleinigkeiten lacht, aber das habe ich Asif oder Mei Lin nicht gesagt. Denn ich weiß, dass es nicht nett ist, Negatives über die Kinder anderer Leute zu sagen, sogar wenn es stimmt. Früher haben die Leute solche Dinge über mich zu Mum gesagt. Und obwohl alles stimmte, meinte Mum dann immer, die Leute wären nicht sehr nett.
Jetzt warte ich nur noch darauf, dass mein Dokumentarfilm gesendet wird. Mum hat gesagt, meine Fähigkeiten seien auch mit Verantwortung verbunden, und ich habe versprochen, den Leuten zu zeigen, wie das Leben für nicht-neurotypische Menschen ist. Ich sollte mir den fertigen Film auf jeden Fall ansehen. Bis dahin wird mein Sehvermögen noch in Ordnung sein, da es aufgehört hat, sich weiter zu verschlechtern, aber ich glaube nicht, dass ich abwarten will, ob es wieder besser wird. Denn Pläne, die ich einmal gemacht habe, ändere ich ungern wieder.
Verloren und gefunden
»Lola, wir sind echt froh, dass unser kleiner Harry dich gefunden hat«, säuselt Henrys Schwester in einem plump vertraulichen Ton, gießt Kaffee ein und tätschelt Lila am Arm. Wieder spricht sie Lila mit dem falschen Namen an.
»Pass auf, jetzt kommt’s«, murmelt Henry Lila zu.
»Ich will ja nich lästern«, fährt Henrys Schwester mit dem breiten Südlondoner Akzent fort, den Henry anscheinend abgelegt hat, »aber seine Ex, die war hässlich wie die Nacht.« Lila muss an sich halten, um den Schluck Kaffee, den sie gerade im Mund hat, nicht wieder auszuprusten.
»Bitte lass das, Ellie, das ist völlig unnötig, und wie du weißt, hatte sie ein Herz aus Gold. Außerdem interessiert sich Lila kein bisschen für meine letzte Freundin«, sagt
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