Als ich lernte zu fliegen
Bescheidenheit nichts zu tun; ich bin nur ehrlich«, widerspricht er.
»Auch Ehrlichkeit ist eine anziehende Eigenschaft«, fährt Mei Lin fort. »Und stark unterschätzt. Ein bisschen wie Sie selbst.«
Asif blinzelt und sieht sie an; wieder spürt er, wie sich dieses neue Gefühl in seiner Magengrube zusammenringelt und ihm Wärme und Sicherheit schenkt. Es ist Hoffnung, ganz sicher, das muss Hoffnung sein. »Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie das sagen«, erwidert er. »Ich wünschte, es wäre so.« Er könnte sich für diese Worte in den Hintern beißen, aber unter Mei Lins offenem Blick ist es ihm unmöglich zu lügen. »In Wirklichkeit habe ich nicht viel zu bieten. Ich werde nicht unterschätzt. Ich bin genau der, der ich zu sein scheine, ein mittelmäßiger Buchhalter mit Problemen am Hals. Manche dieser Probleme haben mit meiner Familie zu tun, manche mit mir selbst. Ich erwarte nicht, dass die Frauen Schlange stehen und sich um mich reißen.«
Mei Lin streckt die Beine aus, schlüpft aus ihren Schuhen und lässt die nackten Füße auf dem Gras ruhen. Asif bemerkt, dass ihre zweiten Zehen ein wenig länger sind als ihre großen Zehen; das sieht an ihr genau richtig aus, sogar ihre kleinen Schönheitsfehler sind liebenswert. »In einem Film habe ich einmal den Spruch gehört, reich zu sein ist für einen Jungen genauso, wie hübsch zu sein für ein Mädchen«, sagt sie. »Ich war immer der Meinung, weder das eine noch das andere kann alle Probleme lösen, aber zweifellos kann es hilfreich sein.« Sie sieht Asif eindringlich ins Gesicht und fährt fort: »Ich glaube, mit Beziehungen ist es das Gleiche. Wenn man jemanden kennenlernt, lösen sich dadurch nicht alle Probleme, aber es hilft bestimmt, wenn man jemanden auf seiner Seite hat. Jemanden, der für einen da ist.«
Asif glaubt zu träumen, als Mei Lin behutsam seine Hand nimmt, ganz bewusst, als wolle sie jedes Missverständnis ausschließen. Er blickt in ihr wunderschönes Gesicht, und einen Moment lang sieht er darin weder ihre Schönheit noch ihre schmalen, fröhlichen Augen, sondern einzig und allein ihre Hoffnung. Und dann geschieht ein kleines Wunder, als Asif endlich, zum ersten Mal in seinem Leben erkennt, dass vielleicht auch er etwas ganz Besonderes ist.
Mei Lin räuspert sich und trinkt einen Schluck von Asifs Cranberrysaft. »Praktisch ein Kuss«, witzelt sie nervös und schlägt wieder die Augen zu ihm auf. Er begreift, dass sie auf seine Antwort wartet, und bevor er denken, zögern und alles verderben kann, beugt er sich vor und küsst sie auf den beerensüßen Mund. Dann hört er ganz auf zu denken, und ihn erfüllt nur noch eine unbeschreibliche Seligkeit, als er ihre warmen Lippen spürt, die seinen Kuss erwidern, als sie ihre Hand hebt, um sein Gesicht zu berühren. Erst als sie beim Küssen schließlich Atem holen, merkt er, dass er sie in seine Arme gezogen hat. »W illst du mit mir zusammen sein, Mei Lin?«, fragt er leise. Nun weiß er, was er will, und ist endlich mutig genug, darum zu bitten; er hofft, dass er sie nicht falsch verstanden hat, dass auch sie mehr will als nur einen Kuss auf einer Party.
Nach einer kleinen Ewigkeit zieht sich Mei Lin ein winziges Stück zurück und lehnt ihre Stirn an die von Asif. »W eißt du, ich warte schon seit Wochen darauf, dass du mich fragst«, sagt sie dann mit einem augenzwinkernden Lächeln. »Ich möchte es wirklich nicht riskieren, wie eine Idiotin dazustehen – ich weiß, dass es nicht einfach sein wird. Wir arbeiten im selben Büro, ich habe Melody, und du bist für Yasmin verantwortlich. Sag’s mir lieber gleich, wenn du glaubst, dass du es nicht schaffst.«
»Doch, ich schaffe das«, versichert ihr Asif schnell; er will nicht nur sie überzeugen, sondern auch sich selbst. Erst ist er gar nicht so sicher, aber als es ausgesprochen ist, weiß er, dass es stimmt. Er beugt sich wieder vor und küsst sie mit der ganzen Zärtlichkeit, die er seit so langer Zeit für sie empfindet und nicht ausdrücken konnte. Er hat das Gefühl, Mei Lin habe ihn mit sicherer Hand aus dunklen, turbulenten Gewässern gezogen und fordere ihn schlicht und einfach auf, ohne groß herumzureden, er solle atmen. Und er weiß, dass er es kann, weil er muss. »Für dich würde ich alles tun«, fügt er hingebungsvoll hinzu und achtet nicht auf das betrunkene Johlen und den taktlosen Applaus, die von der Markise herübertönen, als ihre Kollegen sie gemeinsam auf der Bank entdecken. »Alles.« Und als er in
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