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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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Verlegenheit zeigt.
    »Aber gerne. Schließlich hast du mir nicht angeboten, mir heute mit Melody zu helfen«, gibt Mei Lin zurück. »Du hast nur gesagt, wenn ich dich zitieren darf: ›Halt mir die kleine Kackeschleuder bloß möglichst weit vom Leib, Darling.‹«
    »V olltreffer für dich«, gibt Matt zu. »Dutzi-dutzi«, macht er unbeholfen in den Buggy hinein, dann tritt er die Flucht an. »Babys machen mir Angst«, flüstert er Asif deutlich hörbar zu. »Die riechen es, wenn man sich vor ihnen fürchtet.«
     

     
    Asif blickt zu Melody hinunter. »Oh, ist die aber groß geworden«, staunt er. Sie hat sich praktisch verdoppelt, ihre Haare stehen nicht mehr hoch wie ein Rasierpinsel, sondern sind so lang, dass sie nach unten hängen. Sie trägt ein rüschenbesetztes orangefarbenes Hemdchen und babyblaue Jeans, aus denen ihre pummligen rosa Füßchen hervorgucken wie essbares Zuckerwerk.
    »Ah-wa-ja«, sagt Melody verständig zu ihm.
    »Sie ist jetzt neun Monate alt«, sagt Mei Lin stolz. »Ich kann gar nicht glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist. Bald kann ich sie abstillen – ich habe nur wegen Stephens Asthma so lange gestillt.«
    »Stephens Asthma?«, fragt Asif, denn er begreift den Zusammenhang nicht.
    »Ja.« Mei Lin schnallt Melody aus dem Kinderwagen los. Sie sieht Asifs verständnisloses Gesicht und erklärt: »Das Asthma des Vaters und das Ekzem in der Familie mütterlicherseits sind für Melody ein unerfreuliches genetisches Erbe. Die Ärzte haben mir geraten, sie mindestens ein Jahr lang zu stillen, um dem Ausbruch dieser Krankheiten vorzubeugen oder sie wenigstens abzumildern. Darüber gibt es wohl Studien«, schließt sie etwas vage. »Na, Melody, sag hallo zu Asif«, gurrt sie und nimmt Melody auf den Arm, dass ihr Gesicht auf gleicher Höhe ist wie das seine.
    »Ah-wa-la-la-laaa«, trällert Melody und bricht dann in ein perlendes Kichern aus; sie lächelt so breit, dass ihre Mundwinkel in Richtung Ohren wandern, fast so weit wie bei einem Clown.
    »W ahnsinn, ist die süß!«, entfährt es Asif; angesichts von so viel Glück wird er wieder von Ehrfurcht ergriffen. Als er Melody ansieht, ist ihm, als zupfe ihn etwas längst Vergangenes am Ärmel, eine undeutliche, wohlige Erinnerung an etwas genauso Reines. Unwillkürlich streckt er die Arme nach der Kleinen aus, und bevor er weiß, wie ihm geschieht, hält er Melodys Windelpopo in der Armbeuge, und sie stochert experimentierfreudig nach seinen Augen.
    »Meh-eh-eh-da«, babbelt sie, und als sie mit seinen Augen fertig ist, versucht sie, ihm die Nase aus dem Gesicht zu rupfen. Ihre kleine Hand ist so samtweich, dass sie, wenn sie ihn berührt, praktisch mit seiner Haut verschmilzt. Er erkennt, dass Melody schön ist, weil sie geliebt wird, wie auch er einst schön war und geliebt. Auch wenn er weiß, wie töricht das ist, empfindet er ein heftiges Verlustgefühl. Mit Bedauern reicht er Melody wieder an Mei Lin zurück.
    »Soll ich Ihnen einen Drink holen?«, fragt er.
    »Gern.« Mei Lin sieht ihn nachdenklich an. »Ich weiß nicht, warum ich überrascht bin, dass Sie so gut mit Kindern umgehen können.«
    »Kann ich das?«, fragt Asif. »Außer Ihnen kenne ich gar niemand mit Kindern.«
     

     
    Später am Nachmittag beginnt die Band zu spielen; Asif sitzt auf einer Steinbank, den Buggy mit der schlafenden Melody neben sich. Seit einiger Zeit kommt ihm immer öfter seine Mutter in den Sinn. Solchen Gedanken weicht er eigentlich lieber aus, aber die Ereignisse scheinen sich gegen ihn zu verschwören: Yasmins zwanghafte Beschäftigung mit Sterbenden in Fernsehfilmen, Lilas neuer, ungeschminkter Look, Mei Lins gelassen souveräne Mütterlichkeit und das süße, knuddelige Bündel, das unter seinen aufmerksamen Blicken schläft, die pummligen Ärmchen über den Kopf gestreckt. Er weiß nicht, ob es an seiner Begegnung mit Mei Lin liegt, einer Frau so unendlich außerhalb seiner Liga, der er wie ein liebestoller Welpe gefolgt ist und die sich wider alles Erwarten mit ihm angefreundet hat. Oder ist es die aufschimmernde Chance, dass Yasmin ihn in Zukunft nicht mehr so sehr brauchen wird? Plötzlich keimt tief in ihm ein neues, so ungewöhnliches und unerwartetes Gefühl auf, dass er eine Weile braucht, um es zu erkennen. Das Gefühl heißt Hoffnung. Oder zumindest die Hoffnung auf Hoffnung. Und als dieses Gefühl so aufregend in ihm hochsteigt wie ein Lied in seinem Herzen, ist er nicht mehr sicher, ob er immer noch so viel Groll gegen seine

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