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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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einer Bikerjacke vor und kichert leise. Als ob. Sie unterdrückt den Wunsch, ihn anzurufen und über ihr Bild zu klagen; sie vermisst Asif, seit sie ausgezogen ist; er war der einzige Ruhepol in ihrer Welt, das einzige Heile. Zu ihm war sie immer gegangen, wenn sie Trost brauchte. Einen Zufluchtsort. Als sie noch ziemlich jung waren, fast noch Kleinkinder, wurde Lila von Yasmins Babygeschrei wach gehalten und verängstigt. Dann schlich sie auf Zehenspitzen zu Asifs Bett, umarmte seinen schlafschweren, milch- und seifenduftenden Körper und suchte bei ihm Geborgenheit. Asif hatte Glück, denn anders als sie war er immer sauber, immer gut gewesen. Vielleicht wusste er, dass Gutsein ein Glücksfall ist, weil er sich nie etwas darauf einbildete, nicht einmal stolz darauf war und sie nie wegen ihres eigenen Pechs zu verurteilen schien.
    Das Telefon klingelt, und bevor Lila abhebt, wartet sie, bis sie auf dem Anrufbeantworter hört, wer es ist. »W es? Hi, ich dachte, du guckst heute Fußball?«
    »W ollte ich auch, aber ich vermisse dich. Dauernd muss ich an dich denken. Wollen wir uns vielleicht zum Essen treffen?«
    »Ich weiß nicht … ich wollte dieses Scheißbild fertig malen, bevor ich’s verbrenne und zerstöre.«
    »Ach bitte, bitte! Die Vernichtung deiner exquisiten Kunstwerke kann doch warten. Wir können bei mir essen, wenn du magst … Ich grill uns eine Seezunge, dazu gibt’s Champagner und Erdbeeren mit Sahne …« Sein Betteln hat einen sinnlichen Unterton.
    »Bei dir, sagst du.« Lila wird nachdenklich. Er will sie also bloß wieder ficken, wie nett. Ironie und eindeutige Absicht einmal beiseite – vielleicht findet sie sein verzweifeltes, heftiges Verlangen nach ihr wirklich nett. Begehrt zu werden ist fraglos angenehm. »Gut, ich komm in ungefähr drei Stunden rüber, ich will mich erst baden.« Wesley weiß nicht, dass sie mindestens zwei Stunden damit verbringen wird, ihre schorfige Haut einzuweichen, abzuschrubben, wund zu scheuern und dann so viel Feuchtigkeitscreme einzumassieren, bis sie einen leuchtenden, satten Seidenschimmer annimmt, ein Zauber, der wie bei Aschenputtel bis Mitternacht anhalten wird. Über Nacht wird ihre Haut dann wieder austrocknen, Schorf und Schuppen ansetzen, aber bis dahin hat die Kürbiskutsche der Buslinie 210 oder ein Black Cab sie längst wieder zu Hause abgesetzt, bei ihrer Dienerschaft von Ratten und Mäusen, die in ihrer verwahrlosten Küche an den Essensresten knabbern.
    »Ich warte auf dich, meine Schöne«, sagt Wesley, und beide wissen, wenn sie bei ihm zur Tür hereinkommt, wird er wirklich schon warten. Mit ehrfürchtiger Andacht wird er ihren Namen aussprechen, ihr mit den Fingern durch die glänzenden Haare fahren und sie ungestüm küssen; er wird über ihren glatten Rücken streichen und aufstöhnen, wenn er ihre Hüften gegen die seinen presst; er wird mit dem Finger in sie hineingleiten, und sie werden sich noch in seiner Diele, halb entkleidet, mit qualvoller Leidenschaft lieben, während die Seezunge auf dem Grill verbrutzelt. Leidenschaft gehört zu den wenigen Dingen, die Lila das Gefühl geben, lebendig zu sein; Leidenschaft dringt durch ihre stumpfsinnige Alltagstrübsal und ihre quälerische Selbstanalyse; Leidenschaft ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum ihre Beziehungen so kurzlebig sind – sobald beide anfangen, im Bett Zeitung zu lesen, und sie selbst sich nicht mehr die Mühe macht, vor einem Date die Beine zu rasieren, weiß sie, dass sich die Leidenschaft verabschiedet hat und auch sie, Lila, am besten das Weite sucht.
    Lila zieht ihren löchrigen Slip und das T-Shirt mit den Eisflecken aus und steigt in die Badewanne. Alle Bilder, die sie von sich hat, alle ihre Leben, die sie in verschiedenen Verkleidungen anprobiert hat, alle Neuerfindungen ihrer selbst enden immer hier, bei der Nackten in der Wanne. Die perfekt präpariert wird wie eine Leiche für die Aufbahrung. Während das Wasser einläuft, betrachtet sie die weichen Innenseiten ihrer Schenkel, die winzigen, kaum sichtbaren Narben, die in schnurgeraden, parallelen Linien zu ihrem Geschlecht laufen, für Dehnungsstreifen zu sauber angeordnet, aber mit dem gleichen, wie um Entschuldigung bittenden Silberschimmer, als sollten sie eigentlich gar nicht hier sein, wie schüchterne Gäste, die ungebeten bei einer Party erscheinen. Sobald das Wasser in die trockene Außenschicht der Epidermis eindringt, beginnt wieder das Jucken, und Lila unterdrückt das Bedürfnis, sich zu

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