Als ich lernte zu fliegen
verliert.
»W arum reagieren bloß alle immer so? Er ist doch kein Gott, verdammt noch mal, sondern letzten Endes auch nichts anderes als ein Buchhalter, wie sie zu Millionen auf diesem Planeten herumschwirren.«
»T ut mir leid«, sagt Asif. »Ich wollte nicht … unterstellen … ich weiß nicht einmal, was ich nicht unterstellen wollte. Tut mir leid«, wiederholt er noch einmal, überzeugt, nur mit diesen einfachen Worten die Lage retten zu können. Wieder einmal hat er alles verpatzt; er hätte zuhören sollen, anstatt mit einer eigenen Bemerkung dazwischenzuplatzen. Schlimmer noch: Er hat ein Werturteil abgegeben. Dafür hat er kein freundliches Wort von Mei Lin verdient. Gar nichts verdient er von ihr.
»Ach, hören Sie doch auf, sich zu entschuldigen«, sagt Mei Lin. »Ich bin wütend auf mich selbst, nicht auf Sie. Ich hätte mich längst beruhigen sollen.« Ihre Getränke kommen, und Mei Lin stürzt in einem einzigen langen Zug das halbe Glas hinunter. »Ich hätte doch lieber den Nervenbalsam nehmen sollen und nicht den Aufputscher«, merkt sie verspätet. »Jeder scheint zu denken, dass ich mit Stephen glücklich zu sein habe, verdammt noch mal. Stephen sieht blendend aus, Stephen ist superintelligent, Stephen ist superwichtig, Stephen wandelt auf dem Wasser und verwandelt es in Wein und ist sowieso in allem unendlich viel besser als ich, warum kann ich da nicht einfach den Mund halten und eine dankbare Hausfrau sein, wie es sich gehört …«
»Ich kann mir vorstellen, dass das ganz schön schwer ist«, sagt Asif langsam. »Eine Beziehung mit einem solchen Mann. Vor allem, wenn ein Baby kommt. Wenn die Arbeit immer Vorrang hat, wenn er nie da ist …«
»Genau!«, unterbricht ihn Mei Lin. Sie staunt, dass ein sanftmütiger junger Sachbearbeiter aus der Konkursverwaltung, von dem sie sich nicht viel erwartet hat, sie tatsächlich versteht. »Komisch, anscheinend ist er gar nicht der Meinung, wir hätten uns getrennt. Wie trennt man sich von jemandem, wenn man überhaupt nie richtig zusammen war? Er war für Melody nicht einmal ein Wochenendvater, sondern bestenfalls ein Vater für jedes zweite Wochenende. Wenn er tatsächlich mal irgendwann auftauchte, hatte Melody keine Ahnung, wer er war.« Sie trinkt ihren Saft aus und überfliegt die Speisekarte, ob sie noch etwas bestellen soll. »Er glaubt immer noch, dass sich beim nächsten Mal, wenn er in seinem Terminplaner wieder etwas Zeit für uns erübrigt, alles wieder einrenken wird. Als wäre es völlig unerheblich, dass ich mich nach einer Tagesmutter umgesehen und wieder zu arbeiten angefangen habe; als wolle ich damit nur etwas beweisen. Und ständig will er mir einreden, dass ich keinen besseren Mann finden werde als ihn. Dass er sich das wirklich einbildet, bringt mich richtig auf die Palme.«
Asif nickt gedankenlos, denn im Grunde seines Herzens glaubt er es auch, aber dann schüttelt er den Kopf, weil ihm wieder einfällt, dass Mei Lin die schönste Frau der Welt ist und jeden haben kann, den sie will. Alles, was Mei Lin sagt, geht ihm runter wie Öl, vor allem, wenn sie sich über ihren Gatten beklagt, und er würde sich gern ewig in ihrer Gegenwart sonnen.
»Und wissen Sie was?«, sagt Mei Lin, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »V ielleicht hat er sogar recht. Vielleicht finde ich auch keinen besseren Mann als ihn. Aber darum geht es mir auch gar nicht. Ich will keinen besseren. Ich will keinen Überflieger. Ich will einen ganz gewöhnlichen Mann, der mich so schätzt, dass Melody und ich ihm wichtiger sind als seine Karriere. Einen Mann, der es nicht als feministischen Affront empfindet, wenn ich weiter in meinem Beruf arbeiten möchte.« Sie macht eine Pause und wiederholt knapp: »Keinen besseren. Sondern einen anderen.«
Asif merkt, dass er nun nicht länger einfach stumm dasitzen kann, und fragt: »V ielleicht könnte er sich ändern, wenn er wüsste, was Sie sich wünschen?« Für ihn liegt diese Möglichkeit auf der Hand; wäre er mit einer Frau wie Mei Lin verheiratet, würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie glücklich zu machen.
Mei Lin schnaubt verächtlich. »Das hat er gar nicht versucht. Er hat mir nicht einmal angeboten, es zu versuchen. Vielleicht ist er mit achtunddreißig schon zu festgefahren.«
»Er ist erst achtunddreißig?«, wiederholt Asif verwundert. Für ihn ist es eine seltsame Vorstellung, dass jemand wie Stephen ein Alter hat; er gehört zu diesen unsterblichen Managertypen, die seit
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