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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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ewigen Zeiten aus dem Wirtschaftsleben nicht wegzudenken sind. »Na ja, aber dann ist er trotzdem ein ganzes Stück älter als Sie«, fügt er hinzu.
    »W ollen Sie sich damit hintenrum nach meinem Alter erkundigen?«, fragt Mei Lin ironisch. »So viel älter als ich ist er nicht, ich bin neunundzwanzig.«
    »Ich werde im September vierundzwanzig«, sprudelt es aus Asif überstürzt heraus, dass es fast klingt, als wolle er mit ihr konkurrieren; dabei wollte er nur sagen, dass er nicht mehr ewig dreiundzwanzig ist. Dass auch er erwachsen wird, wenn auch vielleicht kein Stephen Baden-Ross – wollte er das überhaupt? Wenn Stephen Baden-Ross es fertig bringt, Mei Lin gehen zu lassen, dann ist er der größte Trottel auf Erden. Asif grübelt darüber nach, dass Mei Lin sechs Jahre älter ist als er; daran gibt es nun mal nichts zu rütteln. Sechs Jahre trennen sie; in ihrer Jugend haben sie andere Musik gehört, andere Sendungen gesehen; Mei Lin ist in die Schule gekommen, da war er noch nicht einmal geboren. Ihm wird bewusst, dass Mei Lin genauso alt ist wie Jilly Cox von nebenan, und er spürt einen Stich verzweifelter Nostalgie.
    »V ielen Dank, dass Sie mitgekommen sind«, sagt Mei Lin; offenbar hat sie sich gegen einen zweiten Saft entschieden, da sie die Speisekarte wieder beiseitelegt. »T ut mir leid, dass ich so viel Mist bei Ihnen abgeladen habe.«
    »Kein Problem«, sagt Asif. »Jederzeit wieder. Ich bin daran gewöhnt, ich habe zwei Schwestern.«
    »Ich weiß«, sagt Mei Lin zu seiner Überraschung. »Die Dokumentarfilmer haben bei uns angefragt, ob sie in Ihr Interview über Ihre jüngste Schwester ein paar Aufnahmen des Firmengebäudes zwischenblenden dürfen.«
    »Oh«, ist das Einzige, was Asif dazu einfällt; er weiß nicht, ob er froh oder nur erleichtert ist, dass Mei Lin so umstandslos über seine deprimierenden privaten Verhältnisse informiert wurde. Er hätte sich gewünscht, dass sie ihn für einen ganz normalen Typen hielte, der in den Pub geht, Bier trinkt, Darts spielt, am Wochenende zum Fußball geht und sich mit Mädchen trifft. Nicht für jemanden, der den ganzen Tag zu Hause hockt und auf seine kleine Schwester aufpasst.
    »Natürlich hatten wir nichts dagegen«, beruhigt ihn Mei Lin, da sie seinen besorgten Gesichtsausdruck missversteht. »T olle Publicity für die Firma. Ich finde es bemerkenswert, dass Sie seit dem Tod Ihrer Mutter für Ihre kleine Schwester sorgen. Kein Wunder, dass Sie so reif sind für Ihr Alter.« Asif sitzt da und wartet stumm auf den abschließenden Satz, auf das vernichtende Urteil, das an diesem Punkt des Gesprächs immer fällt: dass er ja sooo ein guter Junge ist. Aber Mei Lin sagt: »Ich sollte mir Tipps von Ihnen geben lassen. Sie haben in der Elternrolle schon viel mehr Übung als ich.« Sie sagt es voller Bewunderung.
    »Danke.« Asif ist erleichtert, hat aber dennoch gemischte Gefühle. Hat er wirklich die Elternrolle übernommen? Möglicherweise trifft es zu, liegt vielleicht so klar auf der Hand, dass ihm selbst der Gedanke nie gekommen ist, nicht einmal, als Lila ihn angegiftet hat, er führe sich auf wie eine verdammte Mutterglucke. Er nippt an seinem Saft, den er ganz vergessen hat; plötzlich ist seine Kehle wie ausgetrocknet. Zwischen ihnen ist ein neues Gefühl von Nähe entstanden, und nun findet er den Mut, die Frage zu stellen, die ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brennt, während ihres ganzen wunderbaren Gesprächs, bei dem er nirgends hinblicken konnte als in die Tiefen von Mei Lins schmalen, ausdrucksvollen Augen, die manchmal ernst und still sind, manchmal so fröhlich, dass Lichter darin tanzen. »Mei Lin«, fragt er ernst und staunt selbst über seine Kühnheit. »Ich hoffe, Sie stoßen sich nicht an dieser Frage, aber haben Sie Stephen denn geliebt?«
    »Selbstverständlich«, sagt sie. »Sonst hätte ich ihn nicht geheiratet. Und ich glaube auch, dass er mich auf seine Art geliebt hat. Aber nicht genug.« Sie fährt sich mit den Händen durch die Haare und merkt erst jetzt, dass sie noch immer mit dem Gummi zusammengebunden sind; sie zieht ihn heraus, und ihr tintenschwarzer Bob fällt ihr wieder so natürlich um die Wangenknochen wie fließendes Wasser. »Das hat sich an kleinen Dingen gezeigt. Immer sind es die kleinen Dinge, die alles verraten, nicht wahr? Zum Beispiel hat er sich nie die Mühe gemacht, meinen ganzen Namen auszusprechen, und hat ihn immer zu Lin abgekürzt. Ich sage nicht, dass er ihn zu einem englischen

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