Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
Vom Netzwerk:
sofort zu klingeln begann. »Hallo? Ja, Mum, sie ist hier. Ich hab keine Ahnung, warum sie sich verspätet hat, sie hat’s mir noch nicht gesagt. Ja, sie wirkt ganz normal. Sie ist in ihrem Zimmer. Hört Musik. Was für Musik? Woher soll ich das wissen, verdammt! Entschuldige, Mum. Ich weiß es wirklich nicht. Irgendwelche Opern, glaub ich.«
    »T schaikowski, Pique Dame «, sprang Asif helfend ein.
    »T schaikowski, Pique Dame «, wiederholte Lila. »Gut, dann also bis in einer halben Stunde.« Sie legte auf und durchbohrte Asif mit Blicken. »V erdammter Besserwisser.«
    Asif ging in die Küche. »W as essen wir zu Abend?«, fragte er, praktisch denkend. »Soll ich was beim Take-away bestellen?«
    »Mum wollte Gnocchi machen«, sagte Lila. Gnocchi gehörten zu ihren Lieblingsgerichten; sie freute sich riesig, wenn es die gab, weil sie überzeugt war, dass Mum sie extra für sie machte. Es half natürlich, dass auch Yasmin sie mochte.
    »Sie wird keine Zeit dazu haben, heute ist Spieleabend. Wir müssen anfangen, sobald sie heimkommt.«
    »Als ob, Asif! Heute ist niemand in der Stimmung für einen Spieleabend. Yas hockt noch in ihrem Zimmer und spielt die beleidigte Leberwurst, du glaubst doch nicht im Ernst, dass die in dreißig Minuten runterkommt, um Monopoly und Mensch ärgere dich nicht zu spielen?«
    »Du weißt genau, dass sie runterkommen wird«, erwiderte Asif. »Es ist ihr zuwider, etwas Geplantes ausfallen zu lassen. Und wenn vorher die Hölle los war, donnerstags ab sieben ist Spieleabend. Das ziehen wir durch und basta.«
    »Kann schon sein. Aber ohne mich«, knurrte Lila aufsässig. Asif sah sie vorwurfsvoll an, bis sie schnaubte: »Na schön! Aber schau mich nicht in diesem Ton an! Geh lieber rauf und sag Yasmin, dass Mum nach Hause kommt; mich wird sie kaum zur Tür reinlassen.«
    Asif nickte und ging die Treppe hinauf. Sachte klopfte er an Yasmins geschlossene Tür, gerade laut genug, dass sie es bei der Musik hören konnte. »Hi, Yas. Kann ich bitte reinkommen?«
    Er wartete und hörte, wie Yasmin die Musik leiser drehte. Sie ließ sich für ihre Antwort viel Zeit, aber Asif widerstand dem Drang, das Schweigen durch eine Wiederholung oder Neuformulierung der Frage auszufüllen, denn das würde Yasmins Antwort nur noch weiter hinauszögern. Manchmal brauchte sie so lange, um Fragen zu beantworten, dass in der Grundschule mehr als ein Lehrer Hörprobleme bei ihr vermutet hatte; aber mit ihrem Gehör war alles in Ordnung, manchmal dauerte es einfach, bis sie das Gesagte verarbeitet und erkannt hatte, dass vielleicht eine Antwort erforderlich war. Ihre Therapeuten arbeiteten an ihren kommunikativen Fähigkeiten und waren optimistisch, dass sie als Erwachsene ganz normale Gespräche würde führen können. Nach einer Weile wurde Asifs Geduld belohnt, Yasmin antwortete mit ihrer hohen, ausdruckslosen Stimme, der jedes Gefühl fehlte: »Du weißt, dass du hereinkommen kannst . Aber du darfst nicht.«
    Solche grammatischen Spitzfindigkeiten gingen an Asif vorbei; er war mehr der naturwissenschaftliche Typ. Behutsam schob er die Tür einen Spalt auf. »Hi, ich wollte nur Bescheid sagen, dass Mum auf dem Heimweg ist. Lila hat es nicht so gemeint, sie hat sich nur Sorgen um dich gemacht. Das tun wir alle.«
    »Ich habe gesagt, du darfst nicht«, wiederholte Yasmin, als hätte Asif sie beim ersten Mal nicht richtig gehört. Nach ein paar Sekunden kamen seine Worte bei ihr an, und sie fragte scheinbar aus echter Neugier: »W enn Lila nicht gemeint hat, was sie gesagt hat, warum hat sie es dann gesagt?« Es ergab für Yasmin keinen Sinn, dass Lila log, nur weil sie sauer war; Yasmin tat das nie, dazu war sie nicht berechnend genug. Die Leute logen doch, damit sich andere besser fühlten und damit auch die Lügner selbst; gelegentlich logen sie auch, damit sich andere schlecht fühlten, was den Lügnern in dem Fall eine unwürdige Befriedigung verschaffte. Asif spähte ins Zimmer und sah Yasmin im Schneidersitz mitten auf dem Boden sitzen. Rings um sich hatte sie mit Spielkarten hohe Türme errichtet, eine quadratische Festung, die ihr fast bis zu den Schultern reichte, ein Schutz aus so einsturzgefährdeten, labilen Mauern, dass es niemand wagen würde, sie zu berühren. »W ahnsinn, du musst ewig dafür gebraucht haben«, sagte er und überlegte insgeheim, wie sie Yasmin jemals aus ihrem Zimmer kriegen könnten, ohne das Kartenhaus zu zerstören.
    »Ich habe vierundfünfzig Minuten dafür gebraucht. Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher