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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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gewesen; als er das erste Mal essen ging – nur mit Freunden zu einem einfachen Italiener –, hätte er fast den Tisch abgeräumt und die Teller gestapelt wie zu Hause. Mum erklärte immer, wenn Yasmin etwas nicht leiden konnte, habe auch der Rest der Familie wenig Spaß daran. Das Argument mochte stimmen, war aber im Grunde kein echter Trost.
     

     
    Asif lockerte den Schal und knöpfte seine Cordjacke auf, die er auf Faith’ Drängen an einem Marktstand in Cambridge gekauft hatte. Faith hatte recht, es war nicht kalt, vor allem jetzt nicht mehr, wo er vor dem ständigen Wind geschützt war. Er lehnte den Kopf an die Fensterscheibe und sah zu, wie die Landschaft vorbeizog, die grasenden Tiere auf den Wiesen, die ihm wie eine wenig überzeugende Staffage erschienen, Schaf, Schaf, Kuh. Oder wie Lila immer sagte, als sie noch Kinder waren, bei den seltenen Gelegenheiten, wenn die Familie mit dem Zug fuhr: Mittagessen, Mittagessen, Abendessen – mit dem kindlichen Sinn fürs Praktische, der gleichzeitig so grausam sein konnte. Lila hatte sich eigentlich seitdem nicht sehr verändert. Er vielleicht auch nicht; er war fast neunzehn, aber seine Kindheit löste immer noch so viel Bitterkeit in ihm aus, dass ihm kein einziges glückliches Ereignis einfiel, das mit seiner kleinen Schwester zu tun hatte. Das empfand er fast als Scheitern, zeigte es doch einen Mangel an Entwicklung, an Reife. Denk nach, zwang er sich, denk nach, denk nach, denk nach.
    Asif fiel nichts ein. Nicht einmal, wo er beginnen sollte. Wahrscheinlich ganz am Anfang – und plötzlich spazierte ihm eine Erinnerung durch den Kopf, die so klar und gegenwärtig war, als hätte er sie eben erst zusammenfantasiert oder geträumt und wäre dabei wachgerüttelt worden. Er war vier Jahre alt und zog sich allein an, weil sein Vater mit Lila beschäftigt war, die sich ein unpassendes Partykleid mit einer weißen Strumpfhose in den Kopf gesetzt hatte und zu einem normalen Kleid und Kniestrümpfen erst überredet werden musste. Asif schlüpfte in seine khakifarbene Hose mit den sechs Taschen und in ein grün-weiß gestreiftes T-Shirt, das er schon am Tag zuvor getragen hatte. Dad versuchte, Lilas verfilzte Haare zu bürsten, aber sie machte ein Riesentheater, weil nicht Mum, sondern er sich an ihr zu schaffen machte, und schrie wütend: »Aua, du tust mir weh!«, sobald die Bürste ihren Kopf berührte. Schließlich gab Dad auf und klemmte ihr die wilden Strähnen einfach mit zwei glitzernden Schmetterlingsspangen aus dem Gesicht. Dad brachte Lila als Erste ins Auto und schnallte sie mit geübten Griffen im Kindersitz fest; dann kam Asif, der sich brav auf seine Sitzerhöhung setzte, während Lila sich beklagte, dass Asif einen Fensterplatz hatte und sie in der Mitte saß. Normalerweise hatten sie beide Fensterplätze und der Platz in der Mitte blieb frei, aber heute war am anderen Fensterplatz ein seltsames Plastikding angegurtet, mit Griff und Haube. Asif erklärte Lila: »Für Babu.«
    Dad fuhr mit ihnen zur Klinik, wo er verärgert Münzen für den Parkautomaten einwechselte und über die Preise fluchte. Asif und Lila sahen einander vielsagend an; so fluchte Dad nie, wenn Mum dabei war, das erlaubte sie ihm nicht. Er schnallte die Kinder ab, und als Lila sofort davonrannte und laut kichernd mit den Fäusten auf parkende Autos eintrommelte, nahm er sie auf den Arm und fasste auch Asif fest an der Hand, obwohl er willig mitlief und es nicht nötig gewesen wäre. Sie traten in das Gebäude, wo es süßlich und scharf zugleich roch, ein chemischer Geruch, nicht unangenehm, sobald man sich daran gewöhnt hatte. Mit dem Lift fuhren sie nach oben, wo Lila sofort aufs Klo musste. Dad ging mit ihnen beiden zur Toilette und wusch ihnen mit besonderer Sorgfalt die Hände, rieb sie überall mit Seife ein und spülte sie dann mit warmem Wasser ab. »Damit keine Keime auf das Baby kommen«, erklärte er.
    Sie gingen mit Dad einen langen Gang entlang, dann durch eine Schwingtür, die in ein Zimmer mit vier von Vorhängen umgebenen Betten führte. Auf einem der Betten, dessen Vorhänge geöffnet waren, saß Mum im Morgenmantel; ihre Beine baumelten über die Bettkante. Sie legte ihre Zeitschrift weg, winkte ihnen aufgeregt zu und streckte ihnen die Arme entgegen. Asif rannte zu Mum und umarmte sie. Er hatte sie vermisst, sie war am Abend zuvor in die Klinik gefahren, bevor sie ins Bett gingen, und am Morgen, als sie aufwachten, noch nicht wieder zu Hause gewesen. Lila wand

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