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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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Krankheit vernichtet werden; aber vermutlich wären die Verwandten dagegen. Ich finde nichts dabei, aber ich bin eben realistisch und weiß, dass ich sowieso sterben werde. Wir sterben alle einmal, es ist nur eine Frage der Zeit. Und kein Mensch ist wichtiger als ein anderer, nicht wichtiger als ein Sandkorn im Meer.
    Die meisten Menschen denken bei Selbstmord an Depression, aber ich habe keine Depressionen wie Lila nach Mums Tod. Lila wollte nicht einmal mehr essen; ich dagegen esse jeden Morgen um genau die gleiche Zeit mein Frühstück, immer genau die gleiche Menge Cornflakes. Was wechselt, ist nur, ob ich dazu noch Rühreier, eine Banane oder Toast esse, je nachdem, wie die Dinge aussehen. Wenn die Banane zum Beispiel noch unreif oder schon überreif ist, esse ich sie nicht, weil ich kein grünes oder braunes Obst mag.
     

     
    Bezüglich dessen, was ich vorhin über Hoffnung gesagt habe, gibt es eine Ausnahme. Ich habe behauptet, die Erwartung, dass sich etwas zum Guten wendet, würde die Chancen nicht zu den eigenen Gunsten beeinflussen. Bei Depressionen ist das aber doch der Fall. In medizinischen Testreihen wurde bewiesen, dass Placebos bei Depressiven besser wirken als echte Medikamente, denn allein schon die Erwartung einer Besserung wirkt heilend, da sie die Produktion körpereigenen Dopamins anregt. Lila hat nach Mums Tod weder ihre Antidepressiva noch Placebos eingenommen, sondern lange Spaziergänge gemacht, bei denen sie ewig weg war, manchmal den ganzen Tag; sie hat erklärt, sie ertrage es nicht, im Haus zu bleiben. Asif hat sich Sorgen gemacht, aber ich habe ihm gesagt, dass Spaziergänge oder andere Formen gemäßigter Bewegung bei Depressionen genauso gut oder sogar besser helfen als Medikamente und die Symptome bis zu fünfzig Prozent verringern, was erklärt, warum Ärzte früher ihren depressiven Patienten gesagt haben, sie sollen aufhören zu jammern und lieber an die frische Luft gehen.
    Jetzt, wo ich mit meiner Planung begonnen habe, geht es mir so gut wie schon lange nicht mehr, und die Farben in meinem Kopf sind nicht mehr Rot mit orangefarbenen Flecken, sondern ein dunstiges Grau und Blau wie die Wogen des Meeres.

Wo er einmal lebte
     
     
     

     

     
    »W ar es im Mai früher nicht immer warm?«, fragte Asif Faith, als sie hastig durch die Straßen von Cambridge zum Bahnhof liefen. Er hatte den Collegeschal fest um den Hals gewickelt, um sich gegen den beißenden Wind zu schützen, mehr eine Notwendigkeit als das übliche Zeichen stolzer Collegezugehörigkeit. Warum trug er bei seinen monatlichen Besuchen zu Hause immer seinen Collegeschal? Asif hatte den Verdacht, er wolle sich selbst und die anderen daran erinnern, dass ihm die Flucht gelungen war, dass er nun einer anderen Welt angehörte, die vom grauen, chaotischen Finchley himmelweit entfernt war. Eine Welt kunstvoller Architektur, prächtiger Innenhöfe, kurz geschnittener Rasenovale und freundlich lauter Kneipen, an deren dunklen Steinwänden in den frühen Morgenstunden Kondenswasser heruntertropfte, wenn sich der heiße Atem und der Schweiß der Tanzenden mit klebrigen Bierdünsten vermischte. Unter den Brücken glitten stumm die Boote mit unbeholfen stakenden jungen Männern durch, die ihre neue Liebe beeindrucken wollten; in den von Schätzen überquellenden alten Bibliotheken schliefen Studenten über ihren Büchern ein, sogar die Bücher selbst schienen traumlos zufrieden vor sich hin zu schnarchen, bis sie jemand aus dem Regal nahm.
    »Es ist doch warm. Oder wenigstens nicht kalt«, antwortete Faith. Sie steckte ihre langen braunen Haare mit der Spange neu fest und schob dann ihre Hand in die seine. Asif blickte, während sie so dahineilten, kurz zu ihren schlanken Fingern hinunter, die sich mit den seinen verflochten; er war dankbar für ihre Hand, die sie ihm so ungezwungen und vertrauensvoll überließ. Es tat ihm gut zu wissen, dass sie jederzeit seine Hand ergreifen würde, wenn er sie ihr hinstreckte. Faith’ sanfter Händedruck verankerte ihn in dieser Welt, die er seine ganze Schulzeit lang ersehnt hatte, vor allem in der Oberstufe, die er ausschließlich mit Lernen verbracht hatte, ohne sich von Partys, Sport oder Hobbys ablenken zu lassen, damit er beweisen konnte, dass er einen Studienplatz in Cambridge verdiente. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus: Fast ein Jahr war er nun hier, hatte akzeptable Arbeiten abgeliefert und in den Prüfungen ausreichend gut abgeschnitten; das erste Drittel des

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