Als ich lernte zu fliegen
Mal unwiderstehlich an. »Mmm«, murmelt sie genießerisch, als sie ihm einen sanften Kuss gibt; dann rollt sie entschlossen von ihm weg. Das frühe Morgenlicht sickert durch Henrys Jalousien und wirft schmale Schattenstreifen an die Wände seiner spartanisch eingerichteten Wohnung. Genau wie angekündigt ist sie das krasse Gegenteil zu Lilas Durcheinander, so aufgeräumt, dass sie so gut wie leer wirkt. Immer noch verschlafen, fällt Lila fast aus dem Bett, das viel schmaler ist als ihr eigenes, und schwingt die Beine über den Rand.
»Selber mmm«, brummt Henry schlaftrunken und zieht Lila wieder zurück. »W o willst du denn hin? Es ist noch unanständig früh.« Er vergräbt sein Gesicht tief zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter und küsst sie zärtlich. »Du duftest himmlisch«, sagt er, schlingt den Arm um sie und legt sich wieder hin. »Mein Gott, ist das schön. Ich wünschte, du würdest öfter bei mir übernachten. So aufwachen ist einfach wunderbar.«
»Ich werde noch viel himmlischer duften, wenn ich erst einmal gebadet habe.« Lila windet sich aus seinem Griff. »Ich wollte dich nicht wecken, du kannst ruhig noch im Bett bleiben.« Sie setzt sich auf die Bettkante, hebt ihr T-Shirt vom Boden auf und zieht es über den Kopf. »In zwei Stunden bin ich fertig.«
Henry streckt die Hand nach dem Wecker aus und sieht nach, wie spät es ist. »Lila, es ist sechs Uhr früh, und das an einem Sonntag«, sagt er. »Lass doch mal gut sein und bleib im Bett. Es macht mir wirklich nichts aus, wenn deine Haut ein bisschen trocken ist.« Er streicht ihr zärtlich über den Rücken, aber Lila weiß, wie rau ihre Haut in der Steißbeingegend wird, und schlägt ihm die Hand weg.
»Aber mir macht es was aus«, sagt sie kurz angebunden. Sie ärgert sich, dass der Augenblick vollkommenen Friedens beim Aufwachen so rasch verflogen ist. Alles seine Schuld, warum konnte er nicht einfach weiterschlafen? Keiner ihrer anderen Lover war mit ihr aufgewacht, wenn sie morgens in aller Frühe ins Bad ging, um ihre Haut zu schrubben und einzucremen; sie riskierte es nur höchst ungern, verschorft, schuppig und verletzlich gesehen zu werden. Deshalb vermied sie es normalerweise, auswärts zu übernachten. »Außerdem besuchen wir heute deine Familie, und ich brauche Zeit und Ruhe, um mich zurechtzumachen.« Sie steht auf und stakst ins Bad.
»Die werden hingerissen von dir sein«, sagt Henry immer noch schlaftrunken und rollt sich schwerfällig aus dem Bett. »Die sagen garantiert, dass du viel zu attraktiv für mich bist und deine Zeit an mich verschwendest. Solche Bemerkungen finden sie komisch. Komisch im Sinne von lustig. Ihnen fällt immer wieder etwas zum Totlachen ein, wie sie mich heruntermachen können.« Er schlüpft in den Morgenmantel und bleibt an der Tür zum Bad stehen. »Möchtest du Kaffee oder sonst was?«
»Nein danke«, sagt Lila. »W ieso bist du überhaupt schon auf? Ich hab dir doch gesagt, dass es mir nichts ausmacht, wenn du noch im Bett bleibst, solange ich bade.«
»Aber mir macht es was aus«, erwidert Henry genauso kurz angebunden wie sie zuvor. »Du brauchst mich nicht so herumzukommandieren.« Gähnend tappt er in die Küche. »Und den Kaffee mach ich dir jetzt einfach«, ruft er über die Schulter.
»W er kommandiert jetzt wen rum?«, knurrt Lila, lässt das T-Shirt fallen und steigt in die Wanne, in die das Wasser noch einläuft. Sie taucht mit dem Kopf unter, hält den Atem an, macht die Augen auf und blickt zu der verschwommenen, sehr weißen Decke hoch. Nach ein paar Sekunden hebt sie den Kopf nur so weit, dass Augen, Nase und Mund im Freien liegen, alles andere ist umspült und beginnt aufzuweichen. Sie stöhnt verärgert, als sie die unermüdliche Daisy ins Bad laufen, aufgeregt herumscharren und leichtsinnig aus der Kloschüssel trinken hört; das Geschlabber ist so laut und eindeutig, dass Lila es sogar unter Wasser hört. »Erinnere mich, dass ich mich von diesem widerlichen Geschöpf nie wieder ablecken lasse«, sagt sie, als Henry mit dem Kaffee und der Sonntagszeitung hereinkommt, die sie gestern Abend noch gekauft hat.
»Sprichst du von mir oder von meinem Hund?«, fragt er scherzhaft, stellt den Becher auf den Stuhl neben der Wanne und legt die Sonntagsbeilage dazu.
»V on euch beiden, wenn ihr mir nicht ein bisschen Privatsphäre gönnt.« Lila beginnt, ihre Arme mit dem rauen Lufa-Schwamm abzurubbeln, den sie mitgebracht hat. »Jetzt verzieh dich bitte. Ich habe gesagt, ich mag
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