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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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es nicht, wenn man mich nervt, wenn ich in der Wanne bin.«
    »Gut, dass ich nicht unter Paranoia leide, sonst würde ich mich allmählich ein winziges bisschen abgelehnt fühlen«, sagt Henry. »Soll ich dir den Rücken schrubben, bevor ich gehe?«
    Lila bleibt vor Überraschung über den sachlichen Vorschlag die Spucke weg, was Henry als Zustimmung auslegt; er nimmt den Schwamm und fährt mit breiten, sicheren Strichen ihren Rücken auf und ab. »Mmm«, murmelt sie unwillkürlich, da es sich unerwartet gut anfühlt, wenn jemand anders diese Aufgabe für sie übernimmt. Sie hat mit ihren Lovern viele Momente der Nähe und Intimität geteilt, aber nie hat ihr einer den Rücken geschrubbt, hat es ihr nicht einmal angeboten, und sie ist nie auf die Idee gekommen, darum zu bitten. Das Bad war normalerweise der Ort, an dem sie Intimität nicht suchte, sondern ihr entfloh. Eine Woge von Zärtlichkeit steigt in ihr auf, für die sie keine Worte findet.
    »So.« Henry streicht ihr zum Abschluss mit ausladenden Bewegungen über beide Schultern. »T ut mir leid, dass ich heute schon so nervig war und dir hierhergefolgt bin wie ein liebeskranker Welpe. Es war so schön, mit dir aufzuwachen, ein Moment vollkommenen Glücks. Da wollte ich dich einfach nicht so schnell loslassen.« Er gibt ihr einen Kuss auf den feuchten Kopf. »Jetzt lasse ich dich in Ruhe weiterbaden«, sagt er und geht.
    Lila sitzt allein in der Wanne, wie sie es haben wollte, wie sie immer allein in der Wanne gesessen hatte, nackt, narbig und glattgeschrubbt. Kurioserweise hat sie nun das Gefühl, ihr sei etwas Wichtiges abhandengekommen. Sie betrachtet im Badspiegel ihr wund gescheuertes Gesicht und erkennt plötzlich, wie dumm sie die ganze Zeit gewesen ist. Was hat sie sich dabei gedacht, als sie den Mann, der sie liebt, hinausschickte, um sich auf Hochglanz zu polieren, damit sie von einer gleichgültigen, lieblosen Welt bewundert würde? Plötzlich begreift Lila, dass ihre Schönheit außen an der Haut endet, und sieht nicht mehr ein, wozu sie so viel Energie dafür aufwenden soll. Vielleicht ist es Zeit, sich mehr um sich selbst zu kümmern als um diese Frau da im Spiegel, den verborgenen Funken in sich zu nähren, statt an einer perfekten Oberfläche herumzufeilen. »Henry«, ruft sie kurzentschlossen, »Henry!«
    Er kommt zurück. »W as ist denn los?«, fragt er. »Falls es um eine Spinne geht: Du weißt doch, dass ich zur Spinnenjagd nicht tauge. Ich seh sie nicht, und fangen kann ich sie schon gar nicht.«
    »Es geht nicht um Spinnen, du Idiot«, sagt sie zärtlich, erhebt sich aus dem Wasser, zieht ihn an sich, küsst ihn mit ihren feuchten Lippen und drängt sich, klatschnass, wie sie ist, in voller Länge an ihn, ohne Rücksicht auf seinen Morgenmantel. »Auch für mich war es ein Augenblick vollkommenen Glücks«, sagt sie. »T ut mir leid, dass ich ihn ruiniert habe.« Sie streift ihm den durchweichten Morgenmantel von den Schultern. »Hm, also himmlisch riechst du nicht gerade, weißt du?«, spottet sie. »Du solltest mal baden.« Damit zieht sie ihn zu sich in die Wanne.
    Später sitzt sie mit Henry im schon kühlen, langsam ablaufenden Wasser; gründlich massiert er ihr die lindernde Pflegecreme in den Rücken, die Arme und die Schultern ein. Da sagt er zögernd: »Ich muss dich was fragen, Lila.«
    »Ich weiß.« Sie hat selbst schon eine ganze Weile überlegt, wie lange sie diese Diskussion mit Henry noch vermeiden könnte. Ihre anderen Freunde hatten nie etwas bemerkt, geschweige denn erwähnt.
    Mit geschickten, sanften Händen cremt Henry sie weiter ein, auch ihre Brust und ihren Bauch, aber als er zu ihren Schenkeln kommt, hält er bei den kaum spürbaren Narben auf der weichen Haut inne. Er streift mit dem Daumen darüber wie zuvor über die Narben an ihrem Handgelenk. »Ich weiß, du hast gesagt, dass du keine Hilfe von mir willst, dass du nicht von mir gerettet werden willst. Aber bei dieser Sache möchte ich dir helfen, muss ich dir helfen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass dich etwas verletzt, und schon gar nicht, dass du dich selbst verletzt. Ich werde alles Notwendige tun, werde mit dir zu Spezialisten gehen, zur Therapie; komm zu jeder Tages- oder Nachtzeit zu mir, wenn du glaubst, es könnte passieren. Ich werde alles tun, was du brauchst, damit es aufhört.«
    »Seit wir zusammen sind, habe ich es kaum noch getan«, antwortet Lila aufrichtig. »Du hast mir schon geholfen. Ich fühle mich nur manchmal so schrecklich

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