Als ich lernte zu fliegen
in meiner Haut, in jeder Hinsicht, dass ich die Kontrolle über mich wiedergewinnen muss. Ich werde damit aufhören, das verspreche ich dir.«
»W ir werden andere Möglichkeiten der Kontrolle finden«, sagt Henry. Er küsst sie auf den Nacken. »Ich bin so stolz auf dich.« Mit einem Seufzer lehnt sich Lila an Henry, erleichtert, dass sie das gefürchtete Geständnis so rasch und schmerzlos hinter sich gebracht hat, ohne dass Henry sie verurteilt. Eine Erfahrung wie das Gegenteil eines Schnitts, das Blut fließt in ihren Schenkel zurück, die glatte Wunde schließt sich so sauber, dass Lila letzten Endes vielleicht doch unversehrt ist.
Henry umschlingt ihre Taille und sagt ihr leise über die Schulter: »Ich liebe dich, Lila Murphy.« Das hat er schon oft zu ihr gesagt, sogar schon, bevor sie miteinander geschlafen haben. Früher hatte sich Lila darauf verlassen, dass ihr eine blinde, ungestüme Leidenschaft durch den ersten Sex mit einem neuen Lover hindurchhelfen würde, durch das ganze unwürdige Aufknöpfen, Aufziehen von Reißverschlüssen, Hochziehen und Herunterziehen, durch alle peinlichen Manöver, die der körperlichen Intimität vorausgehen. Mit Henry war es anders; mit ihm zu schlafen stellte sich als so natürlich heraus, wie seine Hand zu halten. Früher hatte sie beim Sex selbst im Fieber des Höhepunkts immer das Gefühl gehabt, ihr würde etwas genommen, sie würde genommen, auf eine unbeschreibliche, bloßstellende Weise. Mit Henry war es dagegen, als würde ihr etwas geschenkt. Und als ihre Körper schließlich ganz selbstverständlich und fließend miteinander verschmolzen, in einer ungetrübten und unbeschwerten Lust, da hatte er es wieder gesagt, so leise wie ein Gebet, als erwarte er keine Antwort, als genüge es ihm, die Worte laut auszusprechen und zu wissen, dass er sie gesagt und sie sie gehört hatte.
»Ich weiß«, sagt Lila kurz. Sie schweigt eine Weile und sieht zu Henrys Händen hinunter, die immer noch um ihre Taille verschränkt sind. Die Narben an der Innenseite ihrer Schenkel sind eine einzige Anklage, dass sie Schreckliches getan hat, dass sie zu anderen genauso grausam gewesen ist wie zu sich selbst. Sie wird nicht noch einmal in diesen Abgrund stürzen. »Ich glaube, ich liebe dich auch«, bekennt sie schließlich so leise, als spräche sie mit sich selbst. Aber an Henrys sachtem Ausatmen erkennt sie, dass er es gehört hat; sie hatte nur nicht gemerkt, dass er mit angehaltenem Atem auf ihre Antwort gewartet hat. Wie sie so in der Wanne an ihm lehnt, würde Lila am liebsten weinen; bisher hat sie nicht gewusst, dass sie dazu fähig ist: geliebt zu werden und selbst zu lieben. Jetzt fühlt sie sich vollkommen, aber nicht mehr wie eine sauber geschrubbte Tote in der Leichenhalle, sondern wie ein blutverschmiertes Neugeborenes, das aus dem Mutterleib herausgleitet, in ein unbekanntes Leben voll grenzenloser Möglichkeiten, das instinktiv die Lippen öffnet, um zum ersten Mal Atem zu schöpfen.
Ein Glas voll Sommer
»Die ganzen hübschen Mädchen kommen im Sommer aus ihren Löchern«, sagt Ravi zu Asif, als sie kumpelhaft mit den Biergläsern anstoßen. Sie sitzen an einem der Tische vor dem Pub. Ravi blickt verträumt zu einem Grüppchen Sekretärinnen hinüber, die gerade das Bürogebäude verlassen. Sobald sie aus der klimatisierten Kühle treten, ziehen sie die Jacken aus und führen kurze, ärmellose Kleider und lange braune Beine vor.
»W as ist mit deiner Frau?«, fragt Asif spitz und zugleich bemüht, nicht prüde zu klingen.
»Ach, die ist die Hübscheste von allen«, meint Ravi. Er ist sich keiner Schuld bewusst und winkt zu den Sekretärinnen hinüber, die ihn zu kennen scheinen, da sie freundlich zurückwinken, bevor sie um die Ecke biegen, zur Bio-Saftbar, die bei der Hitze nur so brummt.
»Meine Lieben, ich hab grade ganz rote Öhrchen gekriegt«, tönt es von hinten. Marketing-Matt nähert sich mit einem Glas Pimm’s, das randvoll ist mit Fruchtstücken und mit einem Papierschirmchen dekoriert. »Ich hielt mich immer eher für eine markante Erscheinung als für hübsch.« Er macht sich neben Ravi breit. »T otal voll hier, du hast doch nichts dagegen, wenn wir den Tisch mit euch teilen?«
»Setz dich ruhig, aber auf das königliche Wir darfst du gern verzichten, das ist noch schwuler als dein Cocktail«, empfiehlt ihm Ravi gut gelaunt.
»Bisschen früh am Tag für Schwulenschelte, du traurige halbe Portion«, schießt Matt zurück.
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