Als ich vom Himmel fiel
starb.«
Mit all diesen hässlichen Details verschonte mich mein Vater in der Zeit meiner Genesung in Yarinacocha und in den folgenden Wochen. Doch wie schwer muss es für ihn gewesen sein, nicht nur den Verlust des einzigen Menschen hinzunehmen, dem er sich jemals wirklich geöffnet hatte, sondern auch noch um dessen Leichnam betrogen worden zu sein, niemals zu wissen, wie seine geliebte Frau gestorben war und wo am Ende ihre sterblichen Überreste geblieben sein mochten.
Ich selbst habe, obwohl ich von den düsteren Vermutungen meines Vaters wusste, bis vor Kurzem nicht daran gezweifelt, dass meine Mutter in Aufkirchen am Starnberger See begraben liegt. Es war für mich einfacher so, instinktiv wusste ich, wie wichtig es war, mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Da mein Vater nichts mehr unternehmen konnte, ließ er die Sache ruhen. Bis ich jetzt, nach dem Tod meiner Tante, all diese schockierenden Dokumente fand.
Auch dass am 24 . Januar 1972 in Pucallpa eine Trauerfeier für die 5 4 Toten, die aus der Stadt stammten, stattfand und die Leichen in dem Mausoleum »Alas de Esperanza« beerdigt wurden, davon erfuhr ich damals nichts. Erst vor Kurzem fand ich die Sonderbeilage, die an jenem Tag in der Zeitschrift »Impetu« in Pucallpa erschien. Demnach war ursprünglich von den Behörden geplant gewesen, die nicht identifizierbaren Leichenteile in einem Massengrab zu bestatten. Die Angehörigen der Opfer jedoch fanden das »pietätlos, gottlos und inhuman« und wehrten sich erfolgreich gegen diese Maßnahme. Und so fanden auch diese menschlichen Überreste ihre letzte Ruhe in dem Mausoleum, das ich 2 7 Jahre später mit Werner Herzog zum ersten Mal besuchte.
Ein 26-jähriger, freiwilliger Helfer namens Mario Zarbe bewies während der Bergungsarbeiten ein unglaubliches Gespür und fand allein fast die Hälfte der Toten. Nach den Informationen in dieser Sonderbeilage, die neben zahlreichen Nachrufen auch persönliche Mitteilungen enthält, überlebten mindestens sechs Personen den Absturz, nach anderen Angaben waren es zwölf. Nach dem offiziellen Ende der Bergung fand eine Gruppe von Zivilisten, die nicht aufgeben wollte, übrigens noch sechs weitere Leichen, darunter die des einen amerikanischen Jungen, des 18-jährigen David Ericson, für den bereits eine Trauerfeier stattgefunden hatte. Ich persönlich habe nie an ein Verbrechen an meiner Mutter geglaubt und halte die damaligen Vermutungen meines Vaters für die düsteren Gedanken eines verzweifelten Menschen. Der entsetzliche Verdacht, den er hegte, zeigt mir, in welch verheerender Verfassung er sich befunden haben muss.
Was den Ort ihrer letzten Ruhe anbelangt, denke ich, dass ihre sterblichen Überreste wohl größtenteils in dem Monument »Alas de Esperanza« ruhen. Was macht es schon, dass ihr Name dort nicht steht? Vielleicht ist sie dort ebenso gut aufgehoben wie in Aufkirchen am Starnberger See. Und was viel wichtiger ist: Ich bin mir sicher, sie hat ihren Frieden gefunden.
Ein atemberaubender Sonnenuntergang, wie ihn nur die Tropen hervorbringen, färbt den Himmel blutrot. In wenigen Minuten wird es Nacht sein.
»Sollen wir langsam aufbrechen?«, fragt mich behutsam mein Mann, der mich kennt wie kein anderer. Es ist ein verdächtiges Zeichen, wenn ich länger als zehn Minuten nichts sage, dann weiß er, dass ich mit meinen Gedanken einmal wieder in der Vergangenheit bin.
Er hat recht, morgen haben wir einen langen Reisetag vor uns. Wenn ich daran denke, dann macht mein Herz vor Freude einen Sprung. Bald werde ich in Panguana sein.
Eine Stunde später sind wir wieder am Packen. Und ich muss auf einmal an jenen Koffer denken, der uns damals so überraschend gebracht worden war. Es war einer der Koffer, die meine Mutter und ich in Lima für das Weihnachtsfest 1971 im Urwald gepackt hatten. Er war völlig unversehrt, nur die Außenhülle durchnässt. Darin befand sich unter anderem ein Weihnachtsstollen, ganz ähnlich wie der so oft in den Zeitungsberichten beschriebene. Diesen aßen mein Vater und ich tatsächlich auf.
Auch Tonbänder mit Vogelstimmen wurden für uns abgegeben, und dann noch etwas, was mich besonders freute: mein Füller, auf den ich mit wasserfestem Stift meinen Namen geschrieben hatte, um etwaigen Verwechslungen vorzubeugen. Immerhin schrieben fast alle meine Freundinnen mit einem identischen Füller. Er gehörte lange zu meinen größten Schätze n – bis er mir Jahre später, zusammen mit meiner Handtasche, während einer
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