Als Mrs Simpson den König stahl
Richtige für die Gesellschaft zu tun, schien ihm zunehmend die falsche Wahl zu sein.
Am ersten Tag seines ersten Trimesters in Oxford war Julian Rupert Blunt begegnet. Die beiden Studienanfänger standen im Herrenausstattungsgeschäft der Universität in der Broad Street
und probierten ihre College-Talare an. Der unterwürfige Verkäufer versuchte, sie davon zu überzeugen, einen Frack zu kaufen.
»Reizende junge Männer wie Sie sind dazu berufen, zu den bedeutsamsten festlichen Anlässen der Universität eingeladen zu werden«, schmeichelte er ihnen auf sehr durchsichtige Art. Julian fing den unverhohlenen Blick von Rupert auf, der hinter dem Rücken des Mannes die Augen verdrehte, und gemeinsam verließen sie das Geschäft, ohne weitere Käufe zu tätigen. Rupert besaß aus seiner Schulzeit in Eton bereits einen Frack, und Julian hätte sich ohnehin keinen leisten können, selbst wenn er gewollt hätte. Doch dort in der Broad Street war zwischen den beiden jungen Männern über die Frage nach einem Frack eine echte Freundschaft entstanden. Rupert war sehr großzügig und genoss es, seinen klugen neuen Freund an seinen Privilegien teilhaben zu lassen. Auf halbem Weg durch das Michaelmas-Trimester lud er Julian ein, ein Wochenende in Cuckmere zu verbringen.
»Mein Vater ist Abgeordneter, und ich weiß, dass ihr euch bei deiner Politikbesessenheit blendend verstehen werdet.«
Rupert hatte recht behalten. Sir Philip hatte sogleich Gefallen an Julian gefunden, ebenso seine Frau, die gerührt war, wie sehr Julian sich die mütterlichen Ratschläge und Ermutigungen zu Herzen nahm, die ihre eigenen Kinder zurückwiesen. Einmal im Monat, manchmal öfter, besuchte Julian mit Rupert das herrliche Feuersteinhaus in Sussex und blieb meist auch über Nacht. Mit seinen reizenden Manieren und seiner Lernwilligkeit, aber auch mit der Achtung und Bewunderung, die er den Eltern seines Freundes zollte, war Julian von der ganzen Familie wie auch vom Haushaltspersonal inoffiziell adoptiert worden. Manchmal hatte er das Gefühl, alles wäre nur ein Traum. Ruperts Eltern erfüllten ihm alles, was Leibniz' »beste aller möglichen Welten« verheißen hatte.
Allerdings gab es Aspekte an seiner Freundschaft mit Ru
pert, die ihm Unbehagen bereiteten. Ein der Zügellosigkeit geweihtes Leben sei ein vergeudetes, so argumentierte er gegenüber Rupert und seinen Altersgenossen im Bullingdon Club, die einhellig der Meinung waren, das Leben sei zu kurz, um sich mit irgendjemandem außer sich selbst zu befassen. Eine andere Gruppe von Studenten, die in einem Haus in der Beaumont Street nahe dem Randolph Hotel in spartanischen Buden wohnten, repräsentierte eine verlockende intellektuelle Atmosphäre, die ihm zu seiner großen Frustration unerreichbar war. Nach Gedichtrezitationen und Gesprächen im English Club, wo er Mitgliedern dieser streng intellektuellen Clique die Hand geschüttelt hatte, kehrte Julian stets in die komfortablen Räume zurück, die er sich mit Rupert teilte, und fühlte sich unzulänglich und verärgert. Er war überzeugt, seine Jahre in Oxford mit Belanglosigkeiten und falschen Werten zu vertrödeln.
Und dann waren da noch die Mädchen. Julians Freundin Charlotte Bellowes war zwei Jahre jünger als er, lebte in London und stand kurz vor ihrem gesellschaftlichen Debüt. Sie hatte ihm gestanden, dass sie sich aus Büchern nicht viel mache. »Lesen langweilt mich«, war ihre Auffassung. Natürlich küssten sie sich, meist bei Debütantinnenpartys in verlassenen Billardräumen, in langen Galerien, deren Wände von Ahnenbildern gesäumt waren, oder in den großen dunklen Gärten eleganter Londoner Villen, die den Eltern ihrer Mitdebütantinnen gehörten. Einmal waren sie hinter einem riesigen Herrenhaus in Kensington auf einen verfallenen Tennisplatz gestoßen, und an jenem Abend hatte Julian nach reichlich rosa Champagner mit der Hand an dem glatten Stück Schenkel entlangstreichen dürfen, das unterhalb von Charlottes seidenem Spitzenhöschen hervorblitzte. Es hatte sich angefühlt, als sei seine Hand über feinste Seide geglitten.
Alle waren sich einig, dass Charlotte oder Lottie, wie ihre Freundinnen sie nannten, furchtbar hübsch war. Doch in den Unterhaltungen, die Julian mit ihr führte, fehlte etwas. Wenn sie
im Palm Court des Ritz Gurkensandwiches aßen, versuchte er, das Gespräch auf die Schuldgefühle zu lenken, die sich bei ihm immer wieder einstellten. Stattdessen aber wandte sie sich unweigerlich der
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