Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
noch Max oder Lukas genannt zu haben.
Nun also sollte mein Enkelkind Gustav oder Sophie heißen. Na ja. In den Monaten bis zur Geburt versuchte ich noch einige Male, mit den jungen Eltern ein gepflegtes Namensgespräch vom Zaun zu brechen. Vor allem die Aussicht, dass mein Nachfahre mit nur einem Namen vorliebnehmen sollte, bereitete mir Sorgen. Doch das Paar verweigerte sich. Selbst Oscar, der ja noch relativ neu in der Familie und deshalb zur Höflichkeit verpflichtet war, ließ sich in keine Namensdiskussion verwickeln. Schließlich schickte ich nur noch Ein-Wort- SMS an die beiden. MERLE stand da. Oder LEVIN. THEA. ALBERT . Ich bekam nicht mal mehr eine Antwort. Die jungen Leute verschmähten meine Expertise.
Als schließlich und glücklich Sophie geboren war, als alles gut überstanden und die jungen Eltern ihre allererste SMS als Familie absetzten, erfuhr ich, dass das kleine Mädchen wie angekündigt Sophie heißen würde. Und, wie angedroht, keinen zweiten Namen bekommen hatte. Bis zuletzt hatte ich gehofft, dass die beiden sich noch für einen Geschichtennamen entscheiden würden. Für Ruth, den Uromanamen. Oder für Anne, Hannas Freundin. Irgendwas Zusätzliches, einfach nur zur Freude dieser grenzirren Oma, also mir, die sich das doch so sehr gewünscht hatte. Aber nix. So war es, und so bleibt es jetzt. Und wer ist schuld? Natürlich ich.
NALA WIRD ZUR ZUKUNFTSMUSIK, UND MEINE VERGANGENHEIT ZEIGT, DASS SIE KEIN ZUCKERSCHLECKEN IST
Irgendwann wird Sophie mich fragen: »Mama, warum habe ich nur einen Namen? – Und dann auch noch so einen schrecklichen?« Das weiß ich jetzt schon. Denn Kinder finden ihre Namen grundsätzlich blöd oder langweilig, und irgendwann stellen sie fest, dass eine zweite eingetragene Kennung dieses Problem beheben könnte: »Ich heiße jetzt nicht mehr Sophie, ich benutze jetzt nur noch meinen zweiten Vornamen: Nala.« So wird sie es ihren Schulfreunden erklären. Nala aus dem »König der Löwen« natürlich.
Kinder können so wunderbar lügen. Denn in Wirklichkeit besitzt sie nur einen Namen. Und wer ist schuld daran? Oscar und ich. Zurzeit sind wir noch sehr glücklich mit dem reinen Klang des einfachen ›Sophie‹. Leicht zu merken, spitznamentauglich und angeblich unserem sozialen Status angemessen. Letzteres hat mal eine Professorin etwas schnippisch zu mir gesagt. Dabei gibt es diesen Namen schon seit einer Zeit, in der wir noch nicht einmal wussten, wie das Wort »Status« geschrieben wird. Denn die Namen unserer Kinder standen für uns beide schon fest, als wir selbst noch unsere Zweitnamen cooler fanden als unsere richtigen. Bereits seit der dritten Klasse wussten wir beide unabhängig voneinander, dass unsere Kinder entweder Gustav oder Sophie heißen würden. Gustav war mein Vorschlag, weil so mein bester Kindergartenfreund hieß. Und Sophie war Oscars, weil so sein Lieblingsmädchen im Ferienlager hieß. Punkt, aus. Reduktion ist die Mutter der Rationalisierung. Wer uns das versagen will, versteht unsere Generation nicht.
Oscar und ich gehören zu einer Generation, die sehr früh mehr wissen musste als nur, wo die Milch herkommt. Nicht nur die Namen noch nicht existenter Kinder, sondern auch, wo es hingeht, was wir wollen, wie die Zukunft aussieht. Haus oder Wohnung? Stadt oder Land? Bergsteiger oder Sesselpupser? Karriere oder Teilzeit? Nach 1989 war alles unsicher. Unsere Eltern wussten noch ziemlich genau, zwischen welchen drei Lebensmodellen sie zu wählen hatten: angepasst, aufsässig oder Untergrund. Deshalb dachten sie, unsere Zukunft müsste ein echter Knüller werden. Diese ganzen Möglichkeiten! Ins Ausland gehen und mal in Goa gewesen sein. Erstmals konsumentenorientierter Kapitalismus, der kostenlose Kundenhotlines installierte. Die Welt hatte ihre gesamte Größe entfaltet und war plötzlich grenzenlos geworden. Das war sicherlich schön, aber auch ein bisschen ungeheuerlich. Freiheit, Kunst und Drogen – das waren die Neunziger.
Unsere Generation musste den Tatsachen wieder ins Auge sehen: Es gibt kein endloses Wachstum. Wir werden nicht noch mehr besitzen als unsere Eltern oder deren Eltern während des Wirtschaftswunders. Wozu auch? Drei Autos auf jeder Einfahrt unserer zwei Häuser? Worauf konzentrieren wir uns also im Leben? Aufs Geldverdienen? Aber nur, wenn ich mich dabei nicht ausnutzen lassen muss. Aufs Kinderkriegen, um für den Erhalt der Menschheit zu sorgen? Nur wenn ich dabei nicht auf meine Karriere verzichten muss. Darauf, die
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