Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
einen robusten Umgang in Fragen von Mutterschaft pflegte – aber dass es bei der Geburt besser flutschte, wenn der Kindsvater dabei sein und Händchen halten kann, hatte sich Ende der Achtzigerjahre eigentlich im gesamten staatlichen Gesundheitswesen herumgesprochen. Also fast. Denn hier in Köpenick dachte man noch wie zu Kaisers Zeiten: Männer stören bei der Geburt, sie kriegen Schnappatmung, ihnen wird schlecht. Und deshalb müssen sie draußen warten oder dürfen derweil Schnäpse trinken gehen. Männer, die keine Schnäpse trinken, sollten nach Hause gehen und sich alle paar Stunden an einer öffentlichen Telefonzelle anstellen, um nachzufragen, ob Mutter und Kind es mittlerweile geschafft haben.
So kam es, dass Hannas Vater während der nächsten dreißig Stunden nicht dabei war, in denen ich versuchte – wie Hanna es zu formulieren pflegt –, »eine Melone durch eine Zitrone zu pressen«.
Die Geburt, dieser Vierzigstundenmarathon, war eine äußerst schmerzhafte, enervierende und sicher nicht ganz ungefährliche Angelegenheit. Denn der Wehentropf wirkte zwar, doch der Muttermund öffnete sich nicht, weshalb mechanisch nachgeholfen werden musste. Was das bedeutet, überlasse ich der Phantasie jedes und jeder Einzelnen.
Auf dem Rücken liegend, jämmerlich, schmerzgebeutelt, gerade dreiundzwanzig Jahre alt geworden und vor allem sehr allein viecherte ich also da in Köpenick so vor mich hin. Pezzibälle oder Geburtshocker gab es noch nicht mal in meiner Phantasie, sie waren Erfindungen des kapitalistischen Systems, das ich erst Jahre später bei der Geburt von Hannas Schwester kennenlernen sollte.
In meiner Erinnerung sehe ich nichts als weiße Kacheln. Nur in der Mitte hängt weit oben eine Bahnhofsuhr. Rechts und links keuchen hinter spanischen Wänden zwei weitere Frauen ihrer Niederkunft entgegen. Alle Stunde beugt sich jemand über mich und sagt irgendetwas Aufmunterndes wie »Wird schon!« oder »Kommt bald!«. Ein Hörrohr wird auf meinen Bauch gedrückt, jemand nimmt mit der Armbanduhr meinen Puls. Ich habe knapp zwei Tage nichts gegessen, irgendwann winsele ich nach dem Kaiserschnitt. Stattdessen kommt jemand und versucht, mir fummelig eine Periduralanästhesie zu verpassen. Es klappt nicht. Ich bin schuld.
Und als sich das Kind – also Hanna – schließlich doch endlich zum Landeanflug klarmacht, werden seine Herztöne auf ungute Art langsamer. Es klingt wie eine Slowmo-Tonspur, und schlagartig ist meine Pritsche von jeder Menge Leuten umringt. Bitten werden zu Anweisungen, Anweisungen zu knappen Befehlen. Von rechts wirft sich ein Pfleger mit seinem gesamten Körpergewicht auf mich. Er landet zwischen Bauch und Brust, um den Druck Richtung Muttermund zu erhöhen …
Ich will nicht jammern – und Mutter Natur hat ja alles so eingerichtet, dass Frauen schmerzhafte Einzelheiten einer Geburt verdrängen können. Aber dass sich da ohne Vorwarnung ein Mann auf meine Rippengegend stürzte, war in dieser an panischen Momenten nicht gerade armen Situation ein extrapanischer. Doch dieser Frontalangriff bewirkte tatsächlich, dass kurz vor Mitternacht eine winzige Hanna von mir geboren – und von anderen sofort weggetragen wurde. Irgendwohin, wo Fachkräfte mal nachgucken konnten, ob an diesem säumigen, herbeigeschrienen Kind alles dran und in Ordnung ist. Und das war es zum Glück.
So, und deshalb habe ich Hanna in Ruhe gelassen mit meiner Geburtsgeschichte. Ich wollte nicht, dass sie denkt, ihre Entbindung müsste so lang und mitunter hoffnungslos werden wie meine. Und ganz ehrlich, es war auch nicht so, dass ich das Bedürfnis gehabt hätte, sie mit Einzelheiten zu behelligen. So wahnsinnig gern denke ich nicht an diese Stunden. Schon eher daran, dass später, als ich in meinem Klinikbett lag, der Vater kam. Eine Schwester brachte Hanna aus dem Babyzimmer. Er guckte sein Kind an und war sehr gerührt und auch froh, dass letztlich alle unbeschadet durch dieses Körpergewitter gekommen waren. Er fand sie unglaublich hübsch – ganz klar, das Blonde hatte sie von ihm.
Gott sei Dank war der Vater nicht nach alter Väter Sitte Schnäpse trinken gegangen. Er hatte zu Hause Buletten gebraten – mein Trostessen. Die packte er jetzt aus, sie waren noch lauwarm, und wir guckten raus in den ersten Dezembertag des Jahres 1988. Es hatte geschneit, alles war gut, und wir waren froh, dass unser Kind endlich da war.
Plötzlich rumpelte es mächtig. Neben dem Bett am Fenster war ein anderer
Weitere Kostenlose Bücher