Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
frischgebackener Vater vom Stuhl gekippt. Seine Freundin, das Neugeborene im Arm, lachte ungläubig. Schwestern kamen herbeigeeilt, sie brachten den Mann in die stabile Seitenlage, schließlich wurde er wieder wach. Er grinste entschuldigend – zu viele Schnäpse, die er in der Geburtsnacht seines Sohnes getrunken hatte. Und für die Angestellten dieser Geburtsstation war wieder einmal bewiesen, dass Väter rein gar nichts hier zu suchen hatten.
WIE ICH MICH GEGEN DAS RAUSTANZEN ENTSCHIED UND DANN PLÖTZLICH WIEDER ALLEINE AUF TOILETTE GEHEN KONNTE
Ich hatte mal eine Nierenbeckenentzündung. Damals erzählte mir jemand, dass es nichts Schmerzhafteres gibt – außer einer Geburt. Ich dachte: »Na dann. Das war schlimm, aber ich habe es überlebt.« Doch je näher Sophies Geburt rückte, desto öfter fiel mir ein, dass ich damals ins Krankenhaus gebracht worden war, weil ich vor Fieber und Schmerzen nicht mehr alleine laufen konnte. Und dass ich drei Infusionen gebraucht hatte, bis meine Augen sich nicht mehr nach oben verdrehten. Kurz: Es war wirklich schlimm. Und die Geburt sollte noch schlimmer werden?
Im Geburtsvorbereitungskurs hatte die Hebamme diese Frage eher gemieden. Als die Geburt vorbei war, schwor ich mir, niemals einer Frau, die noch kein Kind bekommen hat, von dieser Nacht zu erzählen. Ein Schwur, den ich hiermit brechen werde.
Nicht nur, weil es schlimm war, sondern auch, weil ich mir während der ganzen Wartezeit alles ins Gedächtnis rief, was ich jemals über Geburten gehört hatte. Und das waren fast immer Erzählungen von Frauen, die das, was sie erlebt hatten, irgendwie loswerden wollten. Die meisten griffen zu Bildern wie »Du musst halt eine Melone durch eine Zitrone quetschen«. Ein Bild, von dem ich Albträume bekam. Die Zitrone hatte Angst und presste die Augen zusammen, während die Melone mit schallendem Gelächter auf die Zitrone zuraste. Manche dieser Frauen hatten vielleicht offene Rechnungen mit dem Universum und konnten deshalb nicht mit ihren lustigen Gleichnissen sparen.
An dieser Stelle ein Dank an meine Mutter. Denn Mütter von Schwangeren erzählen besser nicht von ihrer Entbindung. Kein Sterbenswörtchen! Ich habe so lange gebraucht, um zu verdrängen, dass ich aus meiner herausgekommen bin, da würden bildhafte Umschreibungen nur alte Wunden aufreißen. Ich hoffe und wünsche, dass ihr Karmakonto damit wieder aufgefüllt ist.
Meine Freundin Christiane fand hingegen von Anfang an, dass ich so viel wie möglich wissen sollte. Sie studiert Medizin und ist deshalb nicht sonderlich zimperlich damit zu erzählen, was sie so weiß und gesehen hat. Jedes Mal, wenn sie mich sah, fiel ihr ein, wie sich die Schädelplatten von Kindern bei der Geburt übereinanderschieben können, wie beängstigend blau manche Neugeborenen sind, wie verdreht manche Körperteile … und dann das ganze Blut! Auch das Nähen der frisch entbundenen Frauen sei wirklich ein Erlebnis! Es hätte nur noch gefehlt, dass sie fragt, ob sie bei meiner Entbindung filmen darf, um sich den Streifen dann mit Popcorn und Freunden reinzuziehen.
Dass Sophie im Krankenhaus zur Welt kommen würde, war mir klar, als ich erfuhr, dass es in Geburtshäusern keine Opiumspritzen gibt. Natürlich spielte ich mit dem Gedanken, schamanenmäßig mein Kind aus mir rauszutanzen. Aber schon ab dem sechsten Monat, als ich anfing, beim Klogang meinen Schlüpfer zu grüßen, weil ich ihn so lange nicht gesehen hatte, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass das, was da in meinem Bauch war, mal aus mir rauskommen würde.
Oscar und ich hoben uns die Kreißsaalbesichtigung so lang wie möglich auf, weil wir beide große Angst vor dieser Stunde null hatten. Er rettete sich in den schlauen Spruch: »Ein bisschen Überraschung muss ja auch sein.« Sophie kam zwei Wochen zu spät auf die Welt, weshalb ich kurz vor der Geburt doch noch in den Kreißsaal musste, um die Herztöne des Kindes kontrollieren zu lassen. Als ich da so lag, gebar gerade eine Frau ihr Kind, indem sie ein langes anhaltendes Lied mit nur wenigen Konsonanten sang. Da wurde mir klar, dass der Kreißsaal mit ß geschrieben wird, weil »kreißen« im Laufe der Sprachentwicklung zu »kreischen« wurde.
Vor lauter Angst lag ich bei meinem Herztönetermin ganz steif da, mit meiner Kugel vorne dran. Und als sich beim Rausgehen endlich die Schwingtüren hinter mir schlossen, liefen auch schon die Tränen. Meine Oxytocinvorräte waren bis auf den letzten Tropfen aufgebraucht.
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