Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Friedensbotschafterin? Literaturnobelpreisträgerin? Glücksforscherin?
Problematisch ist, dass ich die Frage meiner Mutter nicht stellen kann: »Mama, hast du dich auch immer so aufopferungsvoll um mich gekümmert wie ich mich heute um Sophie? Warst du gut zu mir, oder darf ich meine Psychosen endlich auf meine frühe Kindheit schieben?« In Ermangelung einer geeigneten Gesprächspartnerin suche ich über Ecken nach einer Antwort. Dafür muss ich zwangsläufig auch bei anderen Eltern schauen: Wie gehen die mit ihren Kindern um? Und vor allem: Wie zeigen die ihre Liebe?
Ein wichtiger Anhaltspunkt ist der Kinderwagen. Vielleicht ist das wie mit den Autos. Dicke Autos müssen etwas kompensieren. Verkackte Kindheit oder kleine Penisse. Kompensiert dann ein Tausend-Euro-Vorzeigebuggy mangelnde Zeit, fehlende innere Werte oder einfach nur Traditionslosigkeit? Wie gesagt, unserer hat fünfzig Euro gekostet und war in der fünften Generation gebraucht.
Und das, obwohl meine Mutter uns von Anfang an einen kleinen Porsche andrehen wollte. »Nein«, sagte ich, »nein, Mutter, Sophie soll von Anfang an wissen, was Konsum mit einem machen kann. Und deshalb beginnen wir mit Enthaltsamkeit und tasten uns schrittweise voran.« Doch dieses Gespräch fand statt, bevor das Kind diese wunderbare bunte Glitzerwelt betreten hatte. Sobald sie die erste Windel vollgekackt hatte, standen jede Menge Menschen Schlange, um das Kind mit Kram zu überhäufen. Wir kriegten hässliche Bodys in Größen geschenkt, die wir erst in einem Jahr brauchen konnten. Doppelt. Von kreativen Bastelfreundinnen selbst Gemaltes, Gebasteltes und Geklebtes, das jetzt in einer kleinen Kiste ruht und vielleicht nie wieder das Tageslicht erblicken wird. T-Shirts, auf denen »Zuckermäuschen« stand mit Ä-Punkten in Sternenform. Zwei Lauflernwagen, Riesenplüschtiere, Krachmacherspielzeug, Eimer, die falschen Cremes, Spielzeug mit dem traurigen Kind von null bis drei drauf, das vor der Benutzung warnt, riesige Gemälde, heilige Bücher und Decken, die niemals kaputtgehen durften. Eine kleine Drehorgel, die mir mit verschwörerischem Blick und dem Satz »Du musst es ihr jeden Abend vorspielen und sagen, dass sie es von mir hat« überreicht wurde. Und ein einziges Mal ein Paket Windeln. Da habe ich mich gefreut. Das fand ich wirklich super. Ich dachte: »Endlich mal jemand, der mitdenkt. Ich freue mich ja über all den Nippes, aber ohne Windeln kann sie auch keine pinkfarbenen Höschen tragen – und so ein Paket kostet mindestens genauso viel.«
Es ist schon seltsam, was man für eine Anspruchshaltung entwickelt. Immer wenn jemand Klamotten geschenkt hat, die noch viel zu groß waren, empfand ich das als super egoistisch, statt mich zu freuen, dass uns auch bei anhaltendem Wachstum Sophies nicht die Klamotten ausgehen würden. »Der will doch nur, dass wir auch in acht Monaten noch an ihn denken, wenn wir Sophie dieses seltsam geformte Oberteil anziehen!« Sicherlich meinten es die Leute nur gut, aber das nützte mir auch nichts. Außerdem stellten viele mehr oder minder diskrete Forderungen mit ihren Geschenken. Der Jahresweiser meiner Mutter hat mich dazu verdammt, das Ding auch zu führen. Denn früher oder später wird sie entweder selbst danach fragen oder Sophie erzählen, dass dieses Ding existiert. Dann wird meine Tochter zu mir kommen und mich fragen, ob sie mal drin blättern kann. Ich sehe jetzt schon ihre kleinen Tränen auf das edle handgeschöpfte, vor allem weiße Papier tröpfeln. Ja, ich habe es nicht gemacht. Weil ich nicht konnte. Ich kann doch unmöglich alles aufschreiben. Außerdem ist Sophie doch da. Es ist komisch, so hinter ihrem Rücken alles über sie aufzuschreiben. Das macht man doch nicht!
Wegen all dieser seltsamen Anforderungen, die Geschenke so mit sich bringen, und damit Sophie in einer normativ einwandfreien Welt aufwächst, behalten wir unseren grauen Quietschewagen. (In Wahrheit wollen Oscar und ich uns damit stets versichern, dass wir immer noch megahypercool sind.)
Wenn er und ich durch die Straßen laufen, boxen wir uns nach wie vor gegenseitig auf den Oberarm, sobald wir einen Bugaboo sehen. Der Boxer ist genauso überflüssig wie die Babykutsche. Das ist unsere Art, uns gegenseitig zu versichern, dass wir schon für die Zukunft vorgesorgt haben. Wir haben uns die Dinger angeschaut, und tausend Euro für einen Kinderwagen mit nichts dran auszugeben, bloß weil die Erfinder sich irgendwie – nämlich durch den Preis –
Weitere Kostenlose Bücher