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Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)

Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)

Titel: Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Maier , Hanna Maier
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dem globalen Trend stets locker fünfzehn Jahre hinterher war. Nein, es gab keinen Kinderwagenmangel wie vielleicht bei Badezimmerfliesen, Schlagbohrmaschinen oder Papiertaschentüchern. Aber mal ehrlich, wollte man sein Baby nach der Geburt in ein Gefährt legen, das aussah wie eine Wachstuchtischdecke oder Oma Waltrauds alter Bouclé-Vorhang auf vier Rädern? Eher nicht.
    Ich machte mich beizeiten auf die Suche. Den vier, fünf handelsüblichen Modellen aus dem VEB Zekiwa, dem Zeitzer Kinderwagen-Werk, schenkte ich keinerlei Aufmerksamkeit. Hier war schließlich kein gewöhnliches Baby im Anmarsch, sondern das Kind einer zur Exzentrik neigenden Dreiundzwanzigjährigen, das der entsprechenden Ausstattung bedurfte. Ich blätterte den Kleinanzeigenteil der Zeitung durch, wo immer mal gebraucht angeboten wurde, was Tante Ilse aus Bochum oder Oma Helga aus Salzgitter der armen Ostverwandtschaft mitgebracht hatten. Aber mit meinen zweihundert Mark Stipendium spielte ich eh nicht in der entsprechenden Liga.
    Schließlich, kurz vor dem Geburtstermin, schoss ich im An- und Verkauf am Rosenthaler Platz das ultimative Gefährt. Dunkelroter Stoff auf weißem Gestänge für hundertzwanzig Mark, Einkaufsnetz und Rasselkette gab’s umsonst dazu. Ich scheuerte das gute Stück ordentlich ab, besorgte mir eine Matratze, und als es so weit war, schob ich mit meinem schönen Kinderwagen stolz wie Bolle durch den Prenzlauer Berg.
    Ebendort, im einstigen Hippie- und heutigen Muttibezirk, sehe ich sie heute noch manchmal: die Wachstuchtischdecken auf vier Rädern. Die Trends und Zeitläufe haben dafür gesorgt, dass Eltern mit Hochschulabschluss sich entscheiden, ihr Kind in diese Rollpanzer zu legen. Kaum Federung, wendig wie ein Trecker und attraktiv wie eine Kittelschürze. Eine schlimme Krankheit namens Ostalgie lässt selbst mich mitunter versonnen lächeln, wenn ich diese Kinderschubsen über die sanierten Granitplattenwege schettern sehe.
    Die Mehrheit der heutigen Kinderwagen im Straßenbild jedoch scheint unmittelbar einem Raumforschungsinstitut zu entspringen. Es handelt sich um schwarze Nussschalen auf mattiertem Alugestänge, deren Ausmaße tapfer die Tatsache zu ignorieren scheinen, dass Neugeborene noch wachsen. Dass sie also binnen weniger Wochen an Gewicht, also auch Länge zulegen und in einem zum Preis des Gefährts in keinem Verhältnis stehenden Tempo der winzigen rollenden Babywanne entwachsen sein werden.
    Wie machen die das, diese neuen Eltern?, denke ich. Diese Kinderwagen sind so winzig, dass darin schon eine zwei Monate alte Zoë die Knie anziehen müsste. Oder bleiben Kinder heute länger klein – wegen der guten Biokost oder der erblichen Magerkeit von Mama? Ich hätte nicht übel Lust, mal einen Blick in eines der kleinen dunklen Wägelchen zu werfen. Womöglich schaut mir aus dem Tausend-Euro-Schlund ein erbsengroßes nacktes Drachenbaby mit roten Augen entgegen, das sich erst nach Jahresfrist und mehreren Hektoliter Muttermilch in einen Menschen verwandelt?
    Sei’s drum, in solch einem finsteren Teil sollte meine Enkeltochter nicht durch die Welt kutschiert werden. Es sollte irgendwas sein zwischen den NASA -Hybriden und der Wachstuchdecke. Und auf jeden Fall schöner als jene abgeschrammelte Kutsche, mit der Hanna und Oscar die kleine Sophie durch Leipzig schoben: eine irgendwie grau geblümte Scheußlichkeit.
    Dass ich den neuen Kinderwagen bezahlen würde, galt mir als Selbstverständlichkeit. Ich stellte mir vor, wie ich mich zum Dank dafür gemeinsam mit Hanna durch Baby-Walz- und Hauptstadtmutti-Portale klicken würde, um uns über stilistisch fehlgeleitete Eltern zu amüsieren und für Sophie nach der perfekten Mischung aus Design, Technik und Preis zu fahnden. Umso irritierter war ich darüber, dass Hanna und Oscar sich nicht recht freuen wollten, als ich ihnen meine Schenkung in Aussicht stellte. Diese Nachhaltigkeitsfetischisten des 21.   Jahrhunderts meinten doch tatsächlich, der treue Graugeblümte tue es noch.
    Außerdem, wurde mir erklärt, werde Sophie ja noch viel »im System« herumgetragen. Das »System« ist das, was Frauen meiner Generation Babykiepe nannten – eine Erfindung, die wiederum von unseren Müttern, unseren Frauen- und unseren Kinderärzten strikt abgelehnt wurde. Begründung: Das Kindsköpfchen finde in der Kiepe keinen richtigen Halt. Und ganz ehrlich, wenn ich heute System-Eltern sehe, deren Kinder ihre zarten Köpfe haltlos durchs Straßenbild baumeln lassen

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