Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
»Schön weiß«- und »Nicht mehr ganz so weiß«-System in den Schrank zu stapeln. Ich kochte mit Inbrunst Glasflaschen und Nuckel aus und fand einen in meinem späteren Leben nie wieder erlebten Gefallen am Staubsaugen. Um es kurz zu machen: Von diesem ewigen Baby-Stand-by war ich ein bisschen bekloppt geworden. Bei anderen Familien stapelten sich die unabgewaschenen Tassen und Teller, man fiel über Windeleimer und nasse Wäsche. Bei mir hatte sich stattdessen das denkende Hirn zugunsten eines Ordnungsfimmels der ausgeprägteren Sorte abgeschaltet. Statt in den mir verbleibenden Pausen vielleicht doch mal ein Buch zur Hand zu nehmen, packte ich meine Nähmaschine aus und stellte in der knappen Zeit allerlei Puppenkleidung her, in die ich das wehrlose Kind hineinfriemelte, bevor wir »eine Ausfahrt an die frische Luft« machten.
Da zuckelten wir dann durch den Prenzlauer Berg, die grundgenervte Mutter und ihr ausnahmsweise mal schlafendes Baby. Vorbei an Ladenwohnungen, in denen verarmte Künstler wohnten und wo heute ökozertifiziertes Spielzeug und Bio-Cupcakes verkauft werden. Im Konsum schaute ich nach, ob Babysaft geliefert worden war – wenn ja, bunkerte ich gleich mal zehn Flaschen. Ich kaufte im Lebensmittelladen Milch. Beim Gemüsemann ignorierte ich die Weißkohlköpfe und erstand die wöchentliche Flasche Sanddornnektar. Und in der Drogerie fragte ich nach, ob Papiertaschentücher gekommen seien. Dann schwänzelte ich hinüber in den Park, wo ich mich frierend auf eine Bank setzte und mich zu Tode langweilte. Einmal saß dort auf der Nachbarbank einer dieser jungen dissidenten Lyriker. Er las ein Reclam-Bändchen und schaukelte mit der Stiefelspitze seinen Kinderwagen. Bei diesem Anblick musste ich fast weinen. Der Mann war ganz offensichtlich noch er selbst – trotz Kind. Was war eigentlich mit mir los, dass mich die grüne Langeweile fraß?
Bald schon löste sich das Problem von selbst. Überraschenderweise entpuppte sich mein Puppenbaby als lernfähiger Kleinmensch. Sie fing an zu lachen, und wir vertrieben uns die Zeit mit Rasselspielen und Tütenknistern. Sie wollte herumgekugelt und angelacht werden. Sie brauchte Gemüsebrei und fuhr komplett auf geriebene Möhrchen ab. Und als sie das erste Mal den linken Arm fest machte, damit ich ihr leichter ihren Jackenärmel überstreifen konnte, da wusste ich: Jetzt geht’s aufwärts. Aus dem dauerningelnden und kommunikationsunfähigen Neugeborenen war ein kleiner Schatz geworden, mit dem ich noch viele tolle Sachen erleben würde. Von nun an sah es in meiner Wohnung unordentlich und krümelig aus. Ich hatte verstanden, dass ich nicht die Sorte Mutter war, die gut mit Neugeborenen kann. Und dass diese Einsicht immer noch besser war, als so zu tun, als wäre man eine selbstlose Würmchenexpertin.
Bis heute mache ich mir einen Spaß daraus, frischgebackene Eltern damit zu erschrecken. »Ich kann ja nicht so mit den ganz Kleinen«, sage ich gern, während die Mutter gerade ihre Bluse aufknöpft und der Vater die Stillrolle und den Fencheltee herbeiholt. »Im Ernst«, sage ich dann, »ich habe mich in der ersten Zeit entsetzlich gelangweilt mit meinen Kindern.« Meist wird rasch das Thema gewechselt. Wie, was – eine Mutter, der die Mütterlichkeit nicht ab der ersten Minute aus allen Poren spritzt? Mit der muss doch irgendwas nicht in Ordnung gewesen sein. Postsozialistisches Töpfchentrauma oder so. Ich halte das peinliche Übergehen meines Geständnisses inzwischen sehr gut aus. Denn ich weiß, dass es durchaus immer noch Frauen gibt, die sich etwas Schöneres vorstellen können, als vier Kilo Lebendgewicht nächtelang durch die Wohnung zu tragen.
Auch bei Hanna hege ich den Verdacht, dass sie kurz nach Sophies Geburt keineswegs zu jeder Tages- und Nachtzeit komplett glücklich war. Dass sie übermüdet war, war ja nicht zu übersehen; sie kriegt bei Schlafmangel immer so hübsche schiefe Augen. Aber wenn wir mal telefonierten und sie als Tagesfazit damit rausrückte, im Supermarkt gleich ums Eck Windeln, ein Graubrot und einen Liter Milch erstanden zu haben, dann erinnert mich das doch fatal an jene grüne Langeweile, die mich seinerzeit, in jenem Winter Ende der Achtzigerjahre, um die Häuserecken getrieben hat. Und die mich gelehrt hat, dass ein Kind zu bekommen leider nicht der Freifahrtschein ins Glück ist. Sondern auch die Gelegenheit, zu sich selbst ein bisschen ehrlicher zu werden. Sonst würde man ja völlig durchdrehen.
HEUTE SCHEINT DIE
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