Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Speisen und Getränken beizusteuern. Im Gegenzug versprachen wir, einen eigenen Riesenweihnachtsbaum aufzustellen und es an nichts fehlen zu lassen, was Gastlichkeit und ultimatives Großfamilienfeeling erzeugt. Hotelzimmerbuchungen wurden nicht erwartet – unsere Familie wohnt in einem Umkreis von sechzig Kilometern.
Als dann der Weihnachtstag heran war, wurde es nix mit der Kuscheligkeit. Stefan verschwand in der Küche, schmiss dort den Herd und das Radio an und ward den Rest des Tages nicht gesehen. Die Kinder trollten sich in ihre gerade erst bezogenen Zimmer, hängten draußen »Weihnachtsmannwerkstatt«-Schilder an die Türen und plünderten meinen Geschenkpapiervorrat. Ich stand vor der Baumherausforderung, ging wütend in den Garten und sägte mit dem Fuchsschwanz eine krüppelige Brandenburger Kiefer ab. Die stellte ich ins Wohnzimmer, dann suchte ich den Weihnachtsschmuck. Der war aber noch irgendwo in einer Umzugskiste versteckt. Ich gab schließlich auf und wickelte eine grellbunte Lichterkette um den Stock mit Nadeln. Die Kette mit ihren irisierenden Lämpchen hatte ich noch aus den frühen Neunzigern übrig, sie hatte zu anderen Zwecken als zu christlichen Festen mein Bettgestell geziert.
Als dann abends alle, auch die Verspäteten, da waren – inklusive der sechs Nichten und Neffen –, wurde es erst so richtig anstrengend. Nicht dass es nicht auch schöne Momente gegeben hätte, nicht dass die Kinder sich nicht gefreut hätten und ihre selbst gebastelten Geschenke sofort auseinandergefallen wären, so frisch war noch der Klebstoff. Nein, es war gut und richtig kuschelig. Aber eben auch sehr aufwendig und laut und schmutzig. Es gab wie jedes Jahr auch ein bisschen Streit – jemand hatte sich verspätet, und ein Kind spuckte angewidert seinen Kartoffelkloß zurück auf den Teller. Das war alles auszuhalten. Was nicht auszuhalten war, war dieses Gefühl absoluter Überforderung, der Impuls, nach dem Essen und vor der anstehenden Bescherung alle rauszuschmeißen. Weil wir uns selbst übel nahmen, die ganze Bagage eingeladen zu haben, und sie an diesem Weihnachtsabend dann doch zum Teufel wünschten.
In den folgenden Jahren feierten wir zuverlässig bei unseren Eltern. Da war alles vorbereitet, wir mussten uns um nichts kümmern. Und wenn wir nach Hause kamen, gingen die Töchter von selbst ins Bett, und Stefan und ich tranken zwei Schnäpse. Schön war das und ist es jedes Jahr aufs Neue. Und so hätte ich es gern auch wieder.
Ich rufe Hanna an und erkläre es ihr. Sie ist sauer, wirklich verletzt, dass wir nicht kommen werden. Ich sage, dass ich lieber ehrlich zu ihr bin. Dass ich mir was Schöneres vorstellen kann als einen knallgemütlichen Weihnachtsabend mit Anreise, Riesenweihnachtsbaum und Hotel. Hanna ist unversöhnlich. Logisch.
Ich denke im Stillen über die Frage nach, warum ich meinen Hintern nicht mal ihr zuliebe nach Leipzig bewege. Meine Antworten darauf sind schwachbrüstig. Aber ich weiß: Ich will wirklich nicht. Ich sage am Telefon: »Sei nicht sauer« und nehme den Satz gleich wieder zurück. Ich kann ihr ja nicht wehtun und dann fordern, dass sie keinen Schmerz fühlt. Radikal, wie sie ist, sagt Hanna, dass sie nach dieser Abfuhr gar nicht mehr möchte, dass wir kommen. Das trifft. Aber es trifft die Richtigen und klärt die Luft. Mal sehen, was nächstes Jahr ist.
MEIN ERSTES EIGENES WEIHNACHTEN UND WIE ICH ALS STIEFMUTTER FAMILIENZWANG ERZEUGE
Wären wir in Großbritannien und könnte Sophie schon sprechen, würde sie mir vermutlich bald folgende Frage stellen. »Mom, what are Grandma and Granddad doing on Christmas Eve, this year?« Und ich würde antworten: »The same procedure as every year, Miss Sophie.«
Wir sind zwar nicht in Großbritannien, und Sophie kann auch noch nicht sprechen, aber es wird wirklich die gleiche Weihnachtsprozedur wie jedes Jahr für meine Eltern sein. Alle werden eine Biogans essen, dann die Geschenke auspacken und anschließend beim Kaffee quatschen. Das ist schön, aber nach über zwanzig Jahren auch wahrlich immer das Gleiche. Und da unsere Familie sich nicht nur Weihnachten, sondern ziemlich häufig sieht, sind die Geschichten allermeistens auch nicht neu. Warum ich das erzähle? Weil ich folgende Mail verschickt habe.
»Es ist Hochsommer in Leipzig, und wir genießen sowohl die Hitze als auch unsere schöne, kühle Wohnung. Und trotzdem denken wir jetzt schon an Weihnachten. Wir würden in diesem Jahr gerne bei uns in der Wohnung
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