Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Die Plätze sind meistens von analphabetischen Junggesellen besetzt, die das Schild »Diese Plätze sind für Eltern mit Kindern reserviert« einfach nicht lesen können – die Armen.
Meine Freundin Anne und ich sitzen mit Sophie vor der Spielburg und starren auf den Bildschirm. Da ist ein Bild von einer jungen Frau, die einen Schwangerschaftstest in der einen Hand hält, in der anderen vergräbt sie ihr Gesicht. Das Bild ist in dunklen Farben gehalten und wirkt hochdramatisch. Daneben steht: »Schön? Schlau? Schwanger?« Anne, die zwar schön und kinderlos ist, aber meinen langen Baby-ja-oder-Baby-nein-Entscheidungsprozess sehr anteilnehmend begleitet hat, blickt mich mitleidig an. Ich kriege meinen Mund nicht mehr zu. Das ist also das schlimmste Szenario, was einem neben Depression, sexuellem Missbrauch oder Rechtsstreit während des Studiums widerfahren kann? Schwanger zu sein? Na, dann steh ich ja nicht nur am Abgrund, sondern bin noch einen entscheidenden Schritt weitergegangen. Ich gucke zu Sophie, wie sie gerade den Bauklotzturm eines anderen Kindes umschmeißt. »Wie kann etwas so Schönes falsch sein?«, frage ich.
Was mir diese Videobotschaft in der Mensa zu sagen versucht, ist Folgendes: Ich gehöre eigentlich nicht hierher. Denn wir Mütter sind alle radikal abgetrennt von den anderen Unimitgliedern. Wir sitzen in den Mensen hinten in der Ecke, wo wir ungestört die Kinder nerven lassen können. Wir sind fast die Einzigen, die die Fahrstühle nutzen und superegoistisch die rauchenden Leute beiseiteschubsen, um an den automatischen Türöffner ranzukommen. Wir sind die mit der Mutterrolle. Die, die sich ständig ärgern. Wenn wir das Kind durch Rauchschwaden selbst gedrehter Zigaretten schieben müssen. Wenn tausend Dumme den Fahrstuhl blockieren. Ja, ich ärgere mich wirklich, aber ich weiß, dass ich ohne Kind genauso dort im Weg stand. Umso ernster nehme ich den mir vermittelten Auftrag, diese stehenden, glotzenden und ignorierenden Menschen mit möglichst dichtem Auffahren darauf hinzuweisen: Es gibt auch Menschen mit Platzbedarf. Habt einfach Respekt, und lasst mich durch.
Das ist die eine Mutterrolle. Aber es gibt noch ein anderes Erkennungsmerkmal. Es ist die mehr oder minder kleine Rolle zwischen Bauchnabel und Oberschenkelansatz. Sie wächst neun Monate lang und bleibt dann noch ewig. Bei mir ist das zumindest so, weil ich den Stress der Anfangszeit mit hemmungslosem Essen bewältigt habe. Diese Rolle bewirkt, dass wir Mütter uns auch ohne Kinder erkennen können. Dann blinzeln wir uns zu und funken still: »Sprich mich nicht an, ich habe gerade zum ersten Mal heute Zeit, nichts zu sagen, nichts zu tun und nichts zu denken.« Und die andere blinzelt verständnisvoll zurück und schnipst sich mit einer gekonnten Fingerbewegung Bananenschleim vom Ärmel.
Wir Mütter sind gefangen in unserer Rolle, und meistens würden wir ohne Kinder gar nicht miteinander reden. Aber in dieser Mensakinderecke haben wir unendlich viele Themen: Namen, Alter, Schlafzeiten, Windelfüllungen – alles eben! Wir sind ein Club der coolen Uncoolen. Wir pfeifen drauf, was die anderen sagen, und im Gegensatz zu denen wissen wir, wo wir hingehören.
Neben der Kinderecke gibt es da noch die nette, aber etwas zerstreute Sozialberaterin. Außerdem einen Wickelraum (der andere ist, seit ich denken kann, »temporär geschlossen«) und einen Kinderladen. In diesem Kinderladen werden pro Semester fünfundzwanzig Kinder aufgenommen, das ist toll. Aber nur für ein Semester, drei mal zwei Stunden, und die Einrichtung ist für alle Kinder aller sechs Hochschulen in Leipzig gedacht. Dass wir einen Platz bekommen haben, war Glück, Glück, Glück. Und dass wir danach keinen Platz kriegen würden, war jetzt schon klar, klar, klar und normal. Dachten wir jedenfalls, bis ein Wunder geschah und Sophie in letzter Minute doch noch eine Tagesmutter fand. Dass Unikitaplätze fehlen, ist auch der Verwaltung schon aufgefallen. Um das Problem zu lösen, haben sie nicht mehr Kindergärtnerinnen eingestellt, sondern die Hochschulordnung geändert. Ein besonders cleverer Trick. Jetzt dürfen Eltern ihre Kinder mit in die Vorlesung nehmen. Ui, toll.
Ich stelle mir das so vor: Zehn Minuten nach Vorlesungsbeginn stürme ich mit der kartoffelgestärkten Sophie in den Hörsaal und setze mich in die letzte Reihe. Die anderen Studierenden rücken entweder weg oder stehen auf, um zu gehen, denn sie haben bereits verstanden, woran ich noch nicht
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