Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
ihren Kindern rauchen. Doch die Realität des 20. Jahrhunderts sah da noch ganz anders aus. Die Menschen rauchten. Sie rauchten im Büro und an der Werkbank. Sie qualmten in den Behördengängen und Kantinen des Landes. Sie rauchten bei Sitzungen und Schulungen, im öffentlichen Raum und im Restaurant sowieso. Ich habe seinerzeit anlässlich meiner Scheidung im Gericht geraucht. Und ja, wir rauchten in unseren Wohnungen. Überall. Ich auch.
Als Hanna in diesem einfallsreichen Playbackalter war, als also sie und ihre Kumpels uns ausgefeilte Nacherzählungen und Gesänge aus einschlägigen Disney-Trickfilmen zum Besten gaben – da war es gute Sitte, dass wir Eltern uns mit Wein und Zigarettchen ins Kinderzimmer begaben. So eine Vorstellung mit Pocahontas-Solo und Arielle-Chor inklusive kleinerer Unterbrechungen wegen Unstimmigkeiten im kindlichen Ensemble konnte gut ein, zwei Stündchen dauern. Wir Eltern kauerten derweil auf Zwergenstühlen vor der improvisierten Bühne, ertrugen den blechernen Klang des Kassettenrekorders, amüsierten uns wie Bolle über das vorgetragene Liedgut und lobten unsere Kinder ein ums andere Mal. Und weil es so gemütlich war, öffneten wir die Oberlichter des Kinderzimmerfensters und piffelten weiter gemütlich vor uns hin.
Nein. Das war nicht in Ordnung. Aber offen gestanden, wurde derlei damals nicht gesellschaftlich diskutiert. Eltern waren die Großen – die durften rauchen. Und Kinder waren die Kleinen – die hatten erwachsene Sitten und Gebräuche zu akzeptieren. Eltern waren nicht liebloser. Aber die Unterschiede zwischen ihnen und ihren Kindern waren noch deutlicher. Die offensiv und gern auch öffentlich ausagierte und präsentierte Gleichheit in Gewohnheit, Gesundheit und Geschmack war noch nicht erfunden. Mütter kleideten sich wie erwachsene Frauen, nicht wie bezopfte und bunt gepunktete beste Freundinnen ihrer Kinder. Väter trugen Männerklamotten und nicht weit aufgerissene Hemden und Pornosonnenbrillen, die sie wie Mafiosi auf Klassenfahrt aussehen lassen.
Mütter und Väter rauchten öffentlich und selbstverständlich. Wir hockten im Buddelkasten und halfen dem Kind mit einer Hand beim Burgenbauen, während in der anderen Hand eine Marlboro verqualmte. Dass wir uns dessen hätten schämen müssen, war uns nicht klar. Natürlich gab es Pausen während der Schwangerschafts- und Stillzeiten. Aber danach ging’s unbekümmert weiter mit der Qualmerei.
Dass Eltern am besten gar nicht in Gegenwart ihres Nachwuchses rauchen sollten, sickerte erst ab Beginn des neuen Jahrtausends ins öffentliche Bewusstsein. Es war die Zeit, als man uns allerlei zu fürchten lehrte. Ungewaschene Männer auf Spielplatzbänken zum Beispiel stellten eine Bedrohung für die körperliche Unversehrtheit unserer Kinder dar. Zucker entpuppte sich als global gedealte Droge. Nüsse waren kein Knabberspaß mehr, sondern allergische Sprengköpfe. Und das Rauchen brachte uns alle um.
Wer mit derlei Gedankengängen befasst war, hatte keine Kapazität mehr für andere Sorgen. Dass westliche Armeen in Ölstaaten einmarschierten, dass die Sozialhilfe abgeschafft wurde oder dass die Eurozone immer größer und unübersichtlicher wurde. Rauchende Eltern – das war doch mal ein Thema, das ähnlich engagiert diskutiert gehörte wie Leinenzwang für Hunde!
Ich aber war unbelehrbar, ich rauchte weiter. Ein wichtiges Utensil dieser Jahre war mein Spielplatzaschenbecher. Das kleine Messingnäpfchen mit dem fest verschließbaren Deckel hatte ich mir gekauft, um – öhöm – ein Vorbild für Kinder zu sein. Hatte ich anfangs noch meine Kippen hinter mich ins Spielplatzgebüsch geschnipst, war ich nun doch in eine neue Bewusstseinsliga aufgestiegen. Bevor also meine Kinder auf Schaukel und Wippe gelassen wurden, sammelte ich brav die Hinterlassenschaften der nächtlichen Besucher aus dem Sand: Flaschenscherben, auch die eine oder andere Nadel. Wer so handelt, lässt auch keine Kippen mehr liegen.
Ich saß also da auf der Bank, ließ mit anderen Eltern den zurückliegenden Tag Revue passieren und streckte meine Beine in die Sonne. Zwischendurch holten wir am Kiosk Bierchen für uns und Eis für die Kinder. Dazwischen wurde schön geraucht. Heute würde sich bei einem derartig abstoßenden Anblick auf unserem Spielplatz spontan eine Bürgerinitiative gründen. »Don’t smoke in our Kiez« könnte sie heißen, damit auch bilinguale Paare sich zur Mitarbeit eingeladen fühlen. Es gäbe einen kritischen Bericht
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