Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
glauben will. Der Professor stellt mich zur Rede und ich sage: »Ich habe keinen Kindergartenplatz für meine Tochter gefunden, aber wenn ich mein Studium beenden möchte, muss ich Ihre Vorlesung besuchen. Ansonsten kann ich die Klausur nicht mitschreiben. Dürfte ich am Klausurtag mein Kind vielleicht bei Ihnen vorne abgeben? Dann hätten Sie auch etwas zu tun während der neunzig Minuten.« Der Professor runzelt die Stirn, hält mich für verrückt, versucht aber trotzdem weiterzumachen. Sophie beginnt, den schönen Studentinnen vor mir in den beneidenswert perfekt sitzenden Frisuren rumzuwurschteln, und als sie völlig unvorhersehbar einen bösen Blick einfängt, schreit sie erst mal. Danach zerreißt sie meine Notizen und will auf dem Boden rumkrabbeln, wo sie die Stufen runterfliegt. Ich rufe laut: »Mist« und renne hinterher. Das Kind schreit, der Professor flucht, ich heule. Na ja, aber wenn das so in der Lehrordnung steht, dann wird es bestimmt funktionieren.
Als ich meiner Mutter dieses unlösbare Dilemma vortrage, schaut sie mich mit ihrem »Ich hab’s doch gesagt, früher war es einfacher«-Blick an. Damals haben sie den Kinderwagen einfach vor dem Hörsaal abgestellt. Und wenn das Kind gemuckt hat, kam irgendjemand, der gerade den Gang entlanglief, und hat das Kind auch noch geschunkelt. Für mich klingt das wie eine wunderbare Traumwelt, die aber, weil es schon so lange her ist, in Schwarz-Weiß gezeichnet ist. Denn heute kann ich mir das auf keinen Fall mehr vorstellen. Ließe ich zu, dass an einem öffentlichen Ort irgendjemand ohne mein Beisein mein Kind schunkelt, könnte ich mir gleich ein neonfarbenes Schild mit der Aufschrift »Rabenmutter« umhängen. Und würde ich es dennoch wagen, säße ich die ganze Zeit mit Hummeln im Hintern in der Vorlesung, um alle zehn Minuten schweißgebadet rauszurennen und zu schauen, ob mein Baby noch da steht. Das wäre dann auch nicht weniger Ruhestörung, als sie gleich mit reinzunehmen.
Meine Mutter erkennt, dass sich die Zeiten geändert haben, sie hat auch keinen Rat für mich. Das sagt sie nur, weil ihr nichts Besseres einfällt. Wenn Sophie bei ihr ist, ist sie doch selber immer unglaublich vorsichtig. Da dürfte der Kinderwagen nicht mal im Garten unbeobachtet stehen bleiben. Elstern könnten kommen und ihr Goldstück klauen.
Aber ich lerne trotzdem viel über das Studieren, insbesondere seit ich die Sache mit Kind durchziehe. Erstens: Dieses Land ist sehr schlecht darauf eingestellt, dass junge Menschen im gebärfähigen Alter Kinder kriegen wollen. Ich fühle mich trotz all der netten Ansätze im Stich gelassen. Nein, ich möchte mir keinen Gruppenraum in der Bibliothek mieten, in den ich mein Kind mitnehmen kann. Denn auch dort wird Sophie nicht plötzlich ruhig dasitzen und drei Stunden lang Bücher studieren. Ich möchte sie gerne, wie in jedem besseren Fitnessstudio, bei zwei lieben Erzieherinnen abgeben und abholen können, wann ich will. Zweitens: Studieren kann auch ein sehr effizienter und kurzweiliger Zeitvertreib sein, bei dem man sich nicht nur toll finden muss, sondern gelegentlich auch mal in stundenlanges Zaudern darüber gerät, ob das hier alles so richtig ist. Manchmal ist meine Verzweiflung über das Arbeitspensum so groß, dass ich mir wochenlang keine Pause gönne. Sobald das Kind im Bett ist, setze ich mich an den Computer und schreibe noch bis Mitternacht.
Ich weiß, dass das allen lernenden Eltern so geht. Das macht es aber nicht einfacher. Drittens, und das ist zwar egoistisch, aber auch eine kleine Genugtuung: Ich kann über all die niedlichen Studentenprobleme, aus denen ich wirklich rausgewachsen bin, lächeln. Ich sehe mich nicht mehr in einer ständigen Konkurrenzsituation zu den schönen Mädchen, die alle klüger und reicher und besser sind als ich. Und ich versuche nicht mehr so verkniffen, ein Gutmensch zu sein. Ich tue, was ich kann, und bleibe auf dem Laufenden. Aber es gibt momentan einfach Wichtigeres als Fairtrade, Bio, ohne Zuckerzusatz und Political Correctness.
Neulich saß ich mit drei Müttern und einer mitgebrachten Außenseiterin in der Kinderecke und nahm an einem sehr lustigen Gespräch teil. Die Kinderlose drehte einen Dread um ihren Finger, nippte an ihrer Club Mate und sagte wehleidig: »Ich hab neulich kurz aufgehört, vegan zu sein, als ich beim Containern ein superleckeres Stück Käse gefunden habe. Jetzt habe ich ein voll schlechtes Gewissen.« Während ich noch in meinem eingestaubten
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