Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
verkehrter Nasenstupser meinerseits – und das erschrocken schreiende Kind wurde hochgenommen, unter Beruhigungsgurren an die breite Mutterbrust gedrückt und weggetragen.
Immer mal wieder hatte ich zwar den Verdacht, Hanna mache das alles nur, um uns gegenüber zu demonstrieren, wie konfliktfrei und zwischenmenschlich hochwertig es zwischen ihr und ihrer Tochter zugeht. (Eben anders, als es damals bei ihr gelaufen war – dachte sie zumindest.) Aber das waren nichts als Mutmaßungen. Was weiß ich als außer Dienst gestellte Mutter denn, wie das heutzutage gehandhabt wird mit der ganzen Zuwendung und dem Trost bei einem Kind, das nach jedem Fünfsekundenschrei Befriedigung erfährt?
Hanna hatte drei Tage vor dem Abflug mit Sophie bei uns eingecheckt, damit die kleine Dame uns schon mal im Dauerbetrieb kennenlernen konnte, bevor wir die Windelherrschaft übernehmen würden. Dennoch verfiel Sophie auch in Hannas Gegenwart augenblicklich in hysterisches Kreischen, sobald Stefan oder ich sie mal auf den Arm nahmen. Nach zwei Tagen wurde immer noch jede Annäherung auf weniger als anderthalb Meter mit Alarmschreien quittiert.
Auch das sogenannte Abendritual verlief spürbar disharmonisch. Sophie störte offenbar, dass da eine weitere Frau – nämlich ich – schweigend auf der Bettkante saß und höflich interessiert zuschaute, wie das geht: ein Kind ins Bett bringen. Das sollte ich nämlich auf Hannas Wunsch hin verinnerlichen: wie Sophie ins Land der Träume geschickt wird.
Mutter und Nacktkind verschmolzen bei dieser Extravorstellung in einer Art traumwandlerischer Zweifaltigkeit. Es wurde leise gesprochen, das Licht gedimmt, allerlei Cremes kamen massagemäßig zum Einsatz. Eine für hier. Eine für da. Und ob Mandelöl oder die Babylotion für extrasensible Haut – »das sagt dir dann dein Gefühl«, flüsterte Hanna mir verschwörerisch zu. Ich nickte zu allem treu ergeben. Dies war nicht der Moment, um auszudiskutieren, dass die Dame Sophie in den kommenden vier Tagen selbstverständlich stören würde, dass nicht ihre Mama mit der vielfältigen Cremeauswahl sie zur Ruhe bettet. Sondern ich, die Frau, deren Berührung bislang zuverlässig Schreialarm ausgelöst hatte.
Man muss sich da nichts vormachen. Ein kleines Mädchen, das man augenblicklich ins Herz schließt, das diese Affenliebe jedoch nicht erwidert, sondern mit umso heftigerer Mutter-Kind-Bindung quittiert, macht traurig. Und zwar die Großmutter, also mich. Man weiß das eigentlich: dass Kinder elternfixiert sind. Aber man hofft irrwitzigerweise, bei einem selber möge da eine Ausnahme gemacht werden. Kurzum, je inniger Sophie und ihre Mama waren, desto größere Manschetten hatte ich vor der Zeit, wenn Hanna und Oscar in London sein würden.
Doch zum Glück sind Kinder illoyal. Eine Erkenntnis, die wir damals schon bei unseren Kindern und deren Großeltern gewonnen hatte, erwies sich in Sophies Fall als immer noch gültig.
Am Abreisetag nämlich hatte ich Hanna und Oscar in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen gebracht. Und als Sophie zwei Stunden später aufwachte, nahm sie kurzerhand jene Bezugspersonen in Beschlag, die gerade in der Gegend herumstanden: Stefan und mich. Wohl wahr, am ersten Tag verhielt sie sich noch vorsichtig zurückhaltend. Sie aß den Brei – aber wohlig glucksend, tat sie das erst ab Tag zwei. Sie ließ sich auf dem Arm herumtragen – doch den Kopf schmiegte sie erst nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden in meine Halsbeuge. Und die Rassel, das Bilderbuch und die Knistertüte fand sie erst so richtig cool, nachdem ihr irgendwas in ihrem Babyhirn gemeldet haben musste, dass ihre Eltern tatsächlich nicht verfügbar waren.
Kinder sind untreu, dachte ich. Kinder, sagt ein englischer Freund von mir, sind wie Katzen – wer das Futter serviert, wird geliebt. Die Briten wissen, wie man eine unangenehme Wahrheit freundlich formuliert.
Ab da waren wir jedenfalls die Coolsten. Freudenschreie erschallten, wenn Stefan und ich nach dem Mittagsschlaf im Türrahmen erschienen. Fröhliches Gurren, wenn Sophie ein Gläschen, eine Banane, einen Müsliriegel begehrte. Juchzen, wenn wir, sie an den kleinen Händen haltend, mit ihr die Wohnung durchwanderten. Es war uns ein Vergnügen. Und als wir beide mal ganz alleine waren, sagte ich zwischen zwei Breilöffeln zu Sophie: »Schön, dass wir beide uns mal richtig kennenlernen.« Sah ich da Zustimmung in ihren blauen Augen?
Es hätte alles so schön sein können, so harmonisch und
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