Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
vorlagen (Hanna sagt, sie liegen). Weil also angeblich irgendwelche Bescheide und Nachweise und Formulare und Kopien nicht pünktlich, ordnungsgemäß und in dreifacher Ausfertigung auf einem deutschen Behördenschreibtisch vorliegen, hat ihr die Stadtverwaltung einen Kitagebührensatz abgebucht, als wäre sie Vorstandsmitglied eines Dax-Unternehmens. Kindergeld ist auch nicht angekommen, da hakt irgendwas mit dieser absurden IBAN -Verbindung. Von der Kautionsrückzahlung für die vor Monaten ordnungsgemäß übergebene Wohnung wollen wir schweigen. Kurzum, das Kind ist überschuldet und Dispozinsen leider eine Ausgeburt der Hölle. Und nun will sich das Kind ein Auto kaufen. Ein ganz kleines. Ich stelle also folgende generöse Frage: »Wie viel brauchst du?«
Klar, Hanna ist froh. Mit einem Computerklick löst ihre Mutter ein schwieriges Problem. Aber wirklich begeistert bin ich vor allem von mir selbst. Dass ich so was heute fragen kann, ist für mich noch immer ein Wohlfühlflash der ersten Kategorie. »Wie viel brauchst du?« Ha! Unfassbar schön.
Als ich so alt war wie Hanna – als Hanna also so klein war wie Sophie –, war ich nämlich arm. Und zwar auf jene strukturelle Weise arm, wie es das in diesem Land noch heute gibt: Weiß Gott, man verhungert nicht. Aber Lebensqualität sieht wirklich anders aus. Ich verfügte pro Monat über 200 Mark Stipendium, 20 Mark Kindergeld, fünfzig Mark von meinen Eltern, Kohlengutscheine sowie null Mark Unterhalt. Na gut, wir hatten noch DDR – ob ich meine 49 Mark Miete und den Strom pünktlich zahlte, kontrollierte keiner so richtig. Und wenn doch, zahlte ich halt für ein paar Monate, als Zeichen meines guten Willens. Aber das Leben war kompliziert und finanziell äußerst eng gestrickt.
Ich fand das ungerecht. Ich war lebenslustige 23 Jahre alt und mit Studium, Kind und meinen Resten an Privatleben für einfach alles zuständig. Ich stand um sechs Uhr auf, mummelte das Kleinteil an, brachte es zur Krippe, fuhr quer durch die Stadt zum Studieren, düste im Tiefflug spätnachmittags zur Krippe, bekochte und bespaßte Hanna, brachte sie ins Bett und setzte mich dann an den Schreibtisch, um zu lernen. Ich war für Beulen, neue Zähne, gute Stimmung und Kackwindeln zuständig. Aber mehr als Knäcke, Dosenwurst und ab und an eine Flasche Rotwein konnte ich mir nicht leisten. Ungerecht.
Ich entschloss mich, die Verhältnisse konkret zu meinen Gunsten zu verändern. Ich verfügte ja schließlich über eine soziale Waffe, und ich wusste sie zu benutzen: Hanna. Und siehe da, in dieser Zeit wurde ich eine Meisterin darin, in der Kaufhalle – die später Supermarkt heißen würde – all die entbehrten, weil unbezahlbaren Waren in Hannas Kinderwagen zu verstecken. Unter dem Fußsack das Wurstpaket. Im Fußsack den Kaffee und die Schokolade. Obendrauf einen Liter Milch zu siebzig Pfennig, den ich an der Kasse brav bezahlte. Ich wurde nie erwischt.
Ich weiß, das war Diebstahl. Schuldig, euer Ehren. Aber noch heute, wenn ich das aufschreibe, finde ich die junge Frau von damals ziemlich in Ordnung. Eher kühn als verbrecherisch. War nicht eh alles Volkseigentum – und war ich nicht das Volk, wenngleich der ärmere Teil davon?
Wenig später, Hanna war genau ein Jahr alt, fanden auch eine ganze Menge andere meiner Mitbürger, dass sie »das Volk« sind. Sie gingen auf die Straße und riefen diese Erkenntnis durch die kalten Herbstnächte. Und hast du nicht gesehen, wenig später gingen sie mit hundert Mark Begrüßungsgeld pro Nase über die einstige Grenze, um der Segnungen der sozialen Marktwirtschaft teilhaftig zu werden.
Auch ich marschierte mit Hanna in ihrem gebrauchten Westkinderwagen rüber in den Wedding. Ausgesprochen enttäuscht von der aufgeräumten Tristesse jenes Berliner Bezirkes, den ich mir zu Mauerzeiten weitaus verwegener halluziniert hatte, passte ich nicht gut genug auf – und schon wurde meine schlafende Tochter von einer von einem Laster in den Kinderwagen geworfenen Banane aus dem Mittagsschlaf geweckt. Bananengebrüll aus den Kissen. Na, danke, das fing ja gut an mit uns und dem Kapitalismus.
Ich steuerte einen Drogeriemarkt an. Mal schauen, wie weit ich mit meinem Westgeld käme. Schon bei dieser ersten Inaugenscheinnahme des Preis-Leistungs-Gefüges im Kinderbedarfsbereich kam ich zu jenem überstrapazierten Schluss, dass im Osten doch nicht alles schlecht gewesen sein konnte. Denn die Preise für Wegwerfwindeln, Schnuller, Fertigtees
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