Als schliefe sie
seit jenem gesegneten Augenblick die Schutzheilige der Hebammen sei – nein, die Hebamme selbst, gesandt vom Heiligen Geist, um Frauen vor dem Tod im Kindbett zu bewahren. Als sie die beiden Frauen beieinander sah, so Mîlâna, habe sie gewusst, dass Gott das Mädchen am Leben erhalten wolle, um sich von ihr huldigen zu lassen.
»Eva war bei meiner Geburt dabei«, sagt Milia.
»Das kann nicht sein, mein Kind«, widerspricht Tanjûs belustigt. »Gott hat Eva geschickt, damit sie erlebt, dass die Geburtsschmerzen ausbleiben, wenn die Sünde fehlt. Versteh mich nicht falsch. Vielleicht war die Nonne ja tatsächlich eine Heilige. Vielleicht hatte sie eine Vision. In der Höhle in Bethlehem dagegen war es anders. Eva kam, kniete sich hin und holte das Jesuskind. Das hatte Jesus’ Vater im Himmel persönlich so angeordnet. Deshalb musste Josef auch zwölf Jahre lang den Mund halten. Schließlich hatte Eva nur einen einzigen Satz gesagt. Der Hebamme ihren Lohn reichend, hatte er sie damals gefragt, wer sie sei. Sie sei Eva, hatte sie gesagt, das Geld wortlos zurückgewiesen und sich empfohlen. Aber das ist nicht das Wesentliche. Wesentlich ist vielmehr die Geschichte von Jesus mit dem Fisch. Als der Messias, Friede sei mit ihm, auf dem Wasser ging, kam ein Fisch mit einer Botschaft von Sankt Josef zu ihm geschwommen. Die Fische im See Genezareth nennt man ›Muscht‹ oder ›Petrusfische‹. Aber das ist nicht ihr wirklicher Name. Eigentlich heißt diese Art Sankt-Josef-Fisch. Diesen Namen allerdings kennen nur die Fische selber, Sankt Josef und Gott. Besagter Fisch jedenfalls kam zu Jesus und sprach: ›Geh nicht nach Jerusalem. Man wird dich dort töten.‹ Der Messias segnete den Fisch und sagte ihm, er solle sich nicht fürchten, denn es ginge jetzt nicht mehr um Fische. Außerdem würde sein Vater ihm ein Schaf schicken.«
»Und der Fisch?«, fragt Milia. »Hat der Fisch das alles auf Aramäisch gesagt?«
»Selbstverständlich. Fische können sprechen. Doch der Mensch hat die Sprache der Tiere verlernt, als unserem Herrn Abraham, Friede sei mit ihm, diese Sache widerfuhr.«
»Welche Sache?«, fragt Milia.
. . .
»Sie meinen die Sache mit dem Schaf. Nicht wahr?«
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»Hätte er seinen Sohn etwa schlachten sollen? Wer tötet denn den eigenen Sohn?«
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»Na sicher. Er hat seinen Sohn mitgenommen, um ihn zu töten. Schließlich hatte Gott ihm befohlen, seinen Sohn zu töten. Er hatte keine andere Wahl. Nein, das Schaf hat kein Recht, sich zu empören. Doch, natürlich. Keiner stirbt, ohne sich zu empören. Aber was hätte Abraham machen sollen? Er konnte nur entweder seinen Sohn oder das Schaf essen.«
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»Wollen Sie mir weismachen, dass Isaak sich zu seinem Vater gesetzt und mit ihm das Schaf verspeist hat? Nein, diese Geschichte glaube ich nicht.«
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»Das lässt Ihnen Gott nicht durchgehen! Warum sagen Sie so etwas?«
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»Aber ja. Er hatte zwei Söhne. Den Älteren hat er in der Wüste ausgesetzt zusammen mit der Mutter Hagar. Und den Jüngeren wollte er opfern.«
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»Himmel, was rede ich nur! Vergib mir, Herr! Diese Sache jetzt hat vielleicht nichts mit der Vergangenheit zu tun. Sie haben Recht. Aber warum wurde Amîn in Jaffa getötet? Was soll ich dort? Bitte sagen Sie Mansûr doch, dass Milia traurig ist, dass sie bei dem Olivenbaum hier leben möchte und dass sie das alles nicht erträgt.«
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»Ich mag diese Geschichten nicht. Aber kommen wir noch einmal zurück auf die Geschichte mit dem Fisch. Wie war das, als der Fisch die Botschaft von Josef überbrachte? Was hat der Messias da gesagt?«
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»Ich will jetzt bitte nach Hause! Ich habe mich verlaufen und finde nicht mehr allein zurück. Mansûr macht sich bestimmt Sorgen. Bringen Sie mich nach Hause!«
Mansûr hörte wie sie »Ich will nach Hause!« schrie und fühlte sich restlos überfordert. Seit der Ermordung seines Bruders in Jaffa schrie sie im Schlaf. Sie schien mit ihren Schlafgewohnheiten gebrochen zu haben und einen rätselhaften Kampf mit der Welt zu führen. Beim ersten Mal hatte er sie geweckt. Der Weg in den Libanon sei gefährlich, hatte er gesagt und versprochen, sich mit dem Roten Kreuz in Verbindung zu setzen, sie solle sicher nach Beirut gelangen und das Kind dort zur Welt bringen. »Aber ich kann dich nicht begleiten. Die Situation ist schwierig, und ich kann meine Mutter hier unmöglich allein lassen. Was meinst du, Schatz?«
Sie sah ihn mit müden Augen an, wälzte sich unruhig hin
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