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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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Ruhe, bitte. Die Geburt geht gleich los. Kommen Sie bitte nicht mehr her.«
    Aus dem Rauch dringt eine Stimme zu ihr.
    »Heilige Jungfrau, bitte sag ihm, dass es reicht.«
    Der Mönch aber redet weiter. Die Jungfrau greift nicht ein, sondern überlässt Milia ihrem Schicksal. Dann bekommt Milia die Geschichte zu hören. Nicht zum ersten Mal. Wer hatte ihr Evas Geschichte zuvor erzählt? Milia erinnert sich, Zweifel geäußert zu haben. »So ein Quatsch!«, hatte sie gesagt. Wann und wo sie das gesagt hat, weiß sie allerdings nicht mehr. Ja sicher, richtig. Schwester Mîlâna war es gewesen. Was aber hat sie hier zu suchen? Warum hat der Bettelmönch die Gestalt der Nonne angenommen?
    Etwa weil? Nein, unmöglich. Er war ein Bettler. Bei der ersten Begegnung hatte er das Glas am Fenster abgestellt und sich davongeschlichen. Bei den vielen Begegnungen danach hatte sie ihm zu essen gegeben und ihm Geld zugesteckt. Er war bloß ein Bettler und gab sich als Libanese aus, um an sie heranzukommen.
    »Gehen Sie jetzt, bitte. Wenn das Kind geboren ist, koche ich Ihnen ein wunderbares Essen. Aber jetzt möchte ich allein sein.«
    Mansûr nahm an, dass ein Gauner Milia etwas vormachte und sie ausnahm. Von einem Mönch libanesischen Ursprungs, der Tanjûs hieß und allein in der Stadt lebte, wusste in Nazareth keiner. »Sei doch nicht so naiv, Milia! Hier existiert kein griechisch-orthodoxes Kloster. Ja, es gibt zwar das Kloster Moskobia, aber das sind russische Mönche. Wie kann das sein, ein Mönch, der allein lebt und Jesus’ Haus kennt? Zeig mir das Haus, und ich mache ein Vermögen. Das wird der beliebteste Wallfahrtsort der ganzen Welt. Los, komm, zeig es mir.«
    Sie wollte sagen, dass sie dem Mönch versprechen musste, für sich zu behalten, wo das Haus steht. Wollte sagen, dass es ein Geheimnis sei und sie es deshalb nicht preisgeben dürfe. Stattdessen aber lief sie wie getrieben durch die engen Gassen auf der Suche nach dem Olivenbaum und der Ruine. Vergeblich. Wo war Mansûr? Sie hatten das Haus gemeinsam verlassen. Doch plötzlich war er verschwunden. Milia setzte den Weg allein fort. Über die eigenen Füße stolpernd, suchte sie den verdorrten Olivenbaum, wollte ihren müden Kopf an den Stamm lehnen, sich ausruhen. Aber sie fand die Stelle nicht mehr.
    Josef der Zimmermann sei, so erzählte Mîlâna, überwältigt gewesen, als er sah, wie schnell die Hebamme in der kleinen Höhle in Bethlehem ihre Arbeit erledigte. Begegnet sei er der Hebamme am Eingang der Höhle. Sie habe dort gestanden und auf ihn gewartet. Dann habe sie sich vor Maria hingekniet. Kaum hatte sie die Hände ausgestreckt, sei auch schon der Junge herausgeschlüpft. Nur wenige Sekunden habe es gedauert. »Die Jungfrau hatte Schmerzen«, erklärte Mîlâna. »Keine Frau gebiert ohne Schmerzen. Wegen der Ursünde. Die Schmerzen aber waren erträglich, kaum der Rede wert. Denn der Junge war ja im Gegensatz zu seiner Mutter kein Kind der Sünde. Nein, er war der neue Adam. Der nicht aus dem Paradies vertriebene Adam. Deshalb musste die alte Eva kommen und sich vor die neue Eva knien. Unsere liebe Frau Maria ist die neue Eva, vor der sich das ganze Universum niederwarf. Der Junge in der Wiege richtete das Wort an die Hebamme, dankte ihr, dass sie ihn aus dem Bauch der Mutter geholt habe. Er nannte sie Eva. Maria hörte den Namen, traute sich aber nicht, ihrem Mann etwas zu sagen. Sie fürchtete, er könnte sie für verrückt erklären oder ihr nicht glauben. Schließlich hatte er ihr, als sie ihm von ihrer Vision erzählen wollte, mit finsterer Miene den Mund verboten und behauptet, über alles im Bilde zu sein. Doch nicht das Geringste wusste er. Erst als der Junge ihm seinen Traum erzählte, sollte er die Wahrheit erfahren. Daraufhin sollte er vor seiner unberührten Frau auf die Knie fallen. Außerdem sollte er, der sie aus Zweifel an ihrer Treue nie angerührt hatte, sich seiner Gattin nun als Mann nähern. Doch es war zu spät. Das Alter hatte jegliches Begehren fortgewischt und in Gefühle einer wohlwollenden Zuneigung umgewandelt.
    Das hat die Nonne so nicht erzählt, sondern als sie Hals über Kopf bei den Schâhîns eingetroffen sei, habe sie Saada ganz gelb vorgefunden und der Hebamme befohlen, das Mädchen sofort herauszuholen. In dem Moment habe sie zwei Frauen gesehen. Die eine, gebückt, zog einen Jungen aus dem Leib seiner Mutter. Die andere stand daneben, in Purpur und Blau gehüllt. Die eine sei, erläuterte Mîlâna, die alte Eva, die

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