Als schliefe sie
Milia würde mit Mann und Tochter in Mansûrs Zimmer wohnen. Ein Zimmer anzubauen sei nicht nötig.
»Wie es Gott beliebt«, sagte Milia und sah Nadschîba an. »Ein Junge. In meinem Bauch ist ein Junge, Schwiegermutter, kein Mädchen.«
Milia wusste bereits, bevor sie schwanger war, dass sie einen Jungen austragen würde, und hatte seinetwegen die lange Reise auf sich genommen. Sie versuchte Mansûr auf unterschiedliche Weise klarzumachen, dass sich ihre Liebe zu ihm in der Liebe zu dem Kind in ihrem Bauch offenbare. Und dass Frauen letzten Endes nur eine einzige Liebesgeschichte leben. Die Liebe zu ihrem Kind. Denn die mysteriöse Beziehung einer Frau zu ihrer Gebärmutter sei eine einmalige, unvergleichliche Beziehung.
Sie sah ihn. Er steht im Schatten. In dem dunklen Flur zwischen Esszimmer und Küche in dem Haus in Jaffa. Er steht da, Asma an ihn geschmiegt. Die kleine brünette Frau mit rundlich fülligem Körper hängt an Mansûrs Hals, als wolle sie ihn erklimmen. Mansûr, zu ihr hinabgebeugt, vergräbt das Gesicht in ihrem. Milia kommt näher, hustet, um ihre Anwesenheit kundzutun und Mansûr Einhalt zu gebieten. Er aber hört sie nicht. Sie steht inzwischen unmittelbar hinter ihm, sieht, wie Asma die kleinen Augen entrückt verdreht. Sie sieht sich zwischen den beiden hindurchgehen, als sei sie ein Geist, der durch Türen und Körper hindurchschweben kann. Sie dreht sich um, betrachtet ihr Leben, schwindet, so wie sie in dem Traum mit Nadschîb dahingeschwunden ist, als sie ihn in den Armen einer anderen Frau sah und begriff, dass er sie verlassen würde.
»Schämt euch!«, schimpft Milia. »Der Mann ist kaum einen Monat tot. Schämt ihr euch denn gar nicht?«
Weder sehen noch hören die beiden Milia. Sie treiben in einem Meer von Lust und Geheimnis. Milia geht um sie herum, bis sie wieder hinter Mansûr steht. Sie packt ihn bei den Schultern und schüttelt ihn. In der Ferne tauchen drei Jungen auf. Zwei glichen sich wie einander anblickende Spiegel. Der dritte hat dunkle Haut, krauses Haar und grüne Augen. Die drei Jungen kommen näher, gehen zu dem Mann, der die Frau umarmt, verschwinden zwischen den vier verschlungenen Beinen. Milia rennt zu dem dunklen Jungen. Er liegt auf dem Boden. Blut schießt aus seinen Augen. »O Gott, Mansûr! Wie kannst du nur?«, schreit sie. »Siehst du denn nicht den Jungen?« Sie bückt sich, will den Jungen auf den Arm heben, mit ihm fliehen, doch dann ist alles schwarz. Sie sieht sich. In schleimigem Wasser schwimmen. Der kleine dunkle Junge zappelt, scheint zu ersticken. Ein kleiner Fisch, die Haut von Wasser und Salz bleigrau glänzend, japst, scheint zu ersticken. Er öffnet und schließt die Augen, wohl ein stummer Hilferuf. Milia nimmt den kleinen Fisch in die Hände, schwimmt durch hohe Wellen. Sie sieht Mansûr, er schwimmt, den Fisch haltend. Sie steht an der Felsküste, versucht ihre kleinen Brüste mit den Armen zu bedecken. Sie ruft ihren kleinen Bruder. »Lass ihn nicht allein, Bruder!«, schreit sie. »Das ist mein Sohn. Ich habe ihn Îssa genannt. Ich bin allein, Bruder. Beeil dich, bevor der Junge erstickt.« Mûsa ist verschwunden. Der Fisch kommt zu ihr geschwommen. Er ist nun purpurrot mit Weiß durchmischt. Er taucht auf, treibt auf der Wasseroberfläche.
Mansûr kommt hinzu, packt den toten Fisch, wirft ihn ins Meer. Er schaut Milia an und befiehlt ihr, ihm heim nach Jaffa zu folgen.
»Aber unser Zuhause ist doch in Nazareth«, sagt sie.
»Jetzt sind wir in Jaffa zu Hause. Pack deine Sachen und komm!«
Milia öffnete die Augen, geweckt von der Stimme der kleinen Krankenschwester. Sie stand vor ihr. Dann hörte sie die Stimme der anderen Schwester hinter sich.
»Eine schwierige Geburt«, stellte sie fest. »Der Arzt muss etwas unternehmen.«
»Aus dem Weg, Schwestern!«, befahl der Arzt heiser mit kehliger Stimme. »Beruhigen Sie sich, mein Kind, ich bin ja hier«, beschwichtigte er Milia.
Die Nonne erscheint. Hadscha Mîlâna, alt und blind, in wallender schwarzer Kutte. Vor ihr kniet eine strahlend weiße Frau, am Körper ein langes weißes Kleid. Ihr blondes Haar glänzt im Kerzenschein. Die Nonne streicht ihr über den Kopf. Die Frau weint. Aus ihren Augen kullern eine Art Perlen und breiten sich teppichartig auf dem steinernen Boden im Hof der Nôtre-Dame-de-l’Effroi-Kirche aus.
Milia kommt näher, stellt sich hinter die Kniende, bückt sich, versucht die Perlen aufzusammeln. Doch die strahlend weißen Kugeln springen ihr aus den
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