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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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Bett an der Seite eines Mannes wiederfindet. Sieht, wie sie an den Schlafenden heranrückt, um seinen zitternden Körper zuzudecken, ihm über die Schulter zu streichen und mit sanften Worten gut zuzureden. Doch sie fällt. Sie öffnet die Augen, will den Traum fortwischen, sieht plötzlich, wie sich durch die Spalten zwischen den gelben Fenstervorhängen Licht in den Raum schiebt. Sie schaut nach rechts. Mansûr lag auf dem Rücken. Den Mund weit geöffnet, schnarchte er. Beruhigt lächelte sie und schlief wieder ein.
    Am nächsten Morgen stand Milia auf, zog sich an und setzte sich auf den Bettrand. Während sie wartete, betrachtete sie ihren Mann. Mansûr hatte sich halbkreisartig eingerollt. Die Beine angezogen und die linke Hand unter dem Kopf, atmete er ruhig und stieß von Zeit zu Zeit einen Seufzer aus den Tiefen des Schlafes aus. Er hatte etwas Kindliches. Milia beugte sich über ihn, wich aber wieder zurück und lief hinaus in den kleinen Hotelgarten.
    »Du wolltest mich küssen«, sagte Mansûr.
    »Nein, ich wollte dich zudecken.«
    »Warum darf ich dich nicht berühren?«
    »Nimm die Hand weg. Ich will schlafen.«
    »Und ich will mit dir schlafen.«
    »Du sollst so etwas nicht sagen! Lass das! Ich bin müde.«
    Mansûr verstand an Milia eines nicht. Ein Schauspiel, das sich Abend für Abend wiederholte. Kaum bettete sie den Kopf auf das Kissen, schlief sie ein. Deshalb gewöhnte er sich an, seine Bedürfnisse zu befriedigen, während sie schlief. Sobald sich jener entspannt selige Ausdruck auf ihrem Gesicht zeigte und sie tief und gleichmäßig atmete, wusste er, dass seine Zeit gekommen war. Er schmiegte sich an sie, erkundete mit den Händen ihren Körper, legte sich auf sie und vollzog die Ehe. Ihrem leicht geöffneten Mund entwich ein Stöhnen. Die Augen aber blieben geschlossen. Sie schien zu träumen, in ferne Sphären entrückt zu sein. In ihren Quell eingetaucht, hatte Mansûr das Gefühl, schwerelos durch den Traum zu schweben.
    »Gestern habe ich mit dir geschlafen«, sagte er.
    »Was?«
    »Erinnerst du dich denn nicht?«
    »Red doch nicht so!«
    Im Begriff zur Arbeit zu gehen, stand Mansûr auf der Türschwelle. In der Hand seinen süßen Mokka. Er trank einen letzten Schluck, trat an den Tisch und stellte die Tasse ab.
    »Was hast du geträumt?« fragte er, Milia zärtlich in die honigbraunen, lichtbeschienenen Augen schauend. »Leg dich heute tagsüber ein wenig hin und träume den Traum noch einmal. Ich möchte, dass du gut ausgeruht bist, wenn ich abends heimkomme. Träume den Traum noch einmal. Dann klappt es heute Nacht auch wieder.«
    Mansûr glaubte, Milia sei wegen der Ereignisse in Palästina verängstigt, obgleich Nazareth von den Unruhen und anhaltenden Aufständen gegen die britische Mandatsmacht und die jüdische Einwanderung nicht betroffen war. Nach der politischen Lage erkundigte sich Milia nie. Und obwohl Mansûr politisch durchaus interessiert war, mit seinen Freunden im Café oft diskutierte und ernsthaft um die Zukunft Palästinas besorgt war, sprach er mit Milia nur gelegentlich und dann auch eher beiläufig über dieses Thema. Dennoch wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass Milia kaum Anteil nahm und die Zeichen verkannte, weil sie mit ihrer Schwangerschaft und dem neuen Leben in Nazareth beschäftigt war. Allnächtlich sah sie einen Traum. Den Traum, der sie bewogen hatte, Mansûr zu heiraten und hierherzuziehen. Das Gefühl, dass in der Stadt, in der Jesus Christus vor 1900 Jahren gelebt hatte, alles wankte, machte ihr bewusst, dass nichts von Dauer war. So zog sie sich in den Schlaf und in eine von den Mauern der Nacht umringte Welt zurück.
    »Mache ich!«, erwiderte Milia lächelnd auf Mansûrs Aufforderung, den Traum erneut zu träumen.
    »Auch wenn du mir den Traum nie erzählt hast, mag ich ihn, weil du letzte Nacht nett zu mir warst. Wie Zucker bist du mir auf der Zunge zergangen«, schwärmte er.
    Milia wusste von nichts. Das zumindest behauptete sie. Nacht für Nacht träumte sie und vergegenwärtigte sich im Spiegel der Dunkelheit das eigene Bild. Ein siebenjähriges Mädchen mit kurzem schwarzen Haar und großen grünen Augen. In dem Gefühl, der Zauber der Nacht reiche in den Tag hinein, setzte sie auch nach dem Erwachen den Traum fort und vermischte Traum- und Tagwelt. Das beunruhigte Mansûr sehr. Doch dann klärte ihn der Priester der Nazarener Nôtre-Dame-de-l’Effroi-Gemeinde, ein Syrer namens Mîkhâîl Muawwad, auf. Milias Visionen seien keinesfalls

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