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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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stetes Reisen zwischen Nazareth und Beirut schicken würde.
    Er sah sie. Die Haut zartweiß, das lange Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden, den Oberkörper vorgebeugt, goss sie das Basilikumbeet. Und da war es um ihn geschehen. Nach Beirut war er gekommen, um Ware für sein in Nazareth neu eröffnetes Stoffgeschäft einzukaufen. Ursprünglich betrieb er zusammen mit seinem Bruder Amîn eine vom Vater geerbte Schlosserei in Jaffa. Nachdem er sich aber mit seinem Bruder über die Geschäftsführung entzweit hatte, ging er seine eigenen Wege. Er zog nach Nazareth mit dem Ziel, ein neues, unabhängiges Leben anzufangen.
    »Ich plane, viel Geld zu verdienen und nach Jaffa zurückzugehen«, erklärte er Milia, kaum waren sie in ihrem Haus in Nazareth angekommen.
    »Ich ziehe Bethlehem vor«, sagte Milia und senkte den Kopf.
    »Wieso? Was gibt es denn in Bethlehem?«, fragte er.
    Sie schwieg, sah in dem Augenblick den goldenen Lichtkranz zwischen ihren Wimpern flimmern. Von diesen Traum hatte sie keinem Menschen je erzählt. Was hätte sie auch sagen sollen? Etwa, dass sie wegen des Traums in die Ehe eingewilligt hatte? Dass sie auf Befehl einer Stimme jetzt hier in Nazareth war? Die Ereignisse hatten sich in ihrem Gedächtnis vermischt. Im Traum war ihr eine Frau mit Baby erschienen. Die Frau legt der kleinen Milia das Baby in den Arm und verschwindet in ihr blaues Kleid. Milia sieht, wie sich das Blau flatternd ausbreitet und bald das ganze Tal eingenommen hat. Die Frau hat das Baby Milia anvertraut. Ein dunkles Baby, die Augen geschlossen, gewickelt in eine Art Leichentuch. Über dem kleinen Kopf schwebt ein Glorienschein. Blaues Licht liegt der Siebenjährigen auf den Knien. Sie sitzt am Abhang vor einem steinernen Denkmal, im Rücken ein verlassenes Gebäude aus weißem Naturstein. Wie eine alte Kirche sieht das Gebäude aus. Die Frau ist aus dem Nichts aufgetaucht. Kurz darauf verschwindet sie wieder. Sie lässt ihr Kleid zurück. Das Kleid folgt ihr, breitet sich über das Tal aus. Milia steht auf, greift nach dem Kleid, merkt, dass sie im Begriff ist, den Halt zu verlieren. Sie drückt das Kind an die Brust, geht ein paar Schritte rückwärts, stolpert über einen Stein. Im Fallen öffnet sie die Augen und atmet tief ein. Die Öllampe vor dem Ikonenschrein an einem erhöhten Platz in der Ecke des Lîwâns droht auszugehen. Der Docht glimmt bläulich. Die blaue Frau, die Milias Sicht entschwunden ist, steigt in den Schrein aus braunem, rötlich golden changierendem Holz. Milia schließt die Augen. Die blaue Frau kommt zurück. Sie legt Milia das Baby auf die Knie und verschwindet erneut in das blaue Kleid. Das Kleid breitet sich über dem Tal aus. Das Kind auf dem Arm, tritt Milia an den Abhang. Sie will nach dem Kleid greifen, zögert, weicht zurück und fällt.
    Am Morgen darauf erzählte ihr Mûsa von dem Bräutigam. Er komme aus Bethlehem, sagte er, worauf Milia einwilligend den Kopf senkte.
    »Ich habe mich geirrt, er ist nicht aus Bethlehem, sondern aus Nazareth«, korrigierte sich Mûsa.
    Wieder senkte Milia einwilligend den Kopf.
    Hatte sie den Namen der beiden Städte im Traum gehört? Hatte die blaue Frau die Namen genannt? Milia erinnerte sich an keine Stimmen. Doch als sie auf Mansûrs Frage, was es in Bethlehem gäbe, nur ein Lächeln zustande brachte, begriff sie, dass die Namen der beiden Städte tatsächlich im Traum gefallen waren und dass sie keine Antwort geben konnte.
    Hatte sie dem Mann aus Nazareth wirklich ihre Liebe gestanden?
    Sie sah sich mit Mansûrs Augen. Sah, wie sie sich über das Beet beugte und mit Genuss die Mischung aus Erd-, Wasser- und Basilikumduft einatmete. Obwohl Mansûr sie nur von hinten sah, wollte er nicht mehr ohne sie aus Beirut fortgehen.
    »Ich brauche dich nur zu sehen, und schon bekomme ich Durst«, sagte er.
    »Wie findest du, schöner Mond auf Erden, den Mond am Himmel?«, fragte er.
    »Ich bin hier, um den Basilikumduft zu behüten«, sagte er.
    Sie hörte die Stimme, drehte sich um, erblickte ein Gesicht, das dem ihres Bruders Mûsa ähnlich sah. Ein Rausch erfasste sie. Ein Rausch, ausgelöst durch die Verschmelzung von Basilikum- und Wortduft. Er sprach, und schon roch es nach Basilikum. Er spazierte durch den Nachbargarten, und sofort löste das Rascheln einen Schauder aus, der ihr vom Nacken den Rücken hinabrieselte. Nur ein einziges Mal hat sie ein paar Sätze mit ihm gewechselt. Es war im Herbst, als erste Regengüsse die Erde tränkten. Milia stand in

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