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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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verlieren, geschweige denn Fragen zu stellen. Mansûr konnte so spät heimkommen, wie er wollte, sie beschwerte sich nicht und stellte ihn auch nie zur Rede.
    Er sprach von Liebe, schwärmte von ihrer Schönheit, gestand, dass er ihr auf den ersten Blick verfallen sei. Vieles mehr sagte er. Sie aber senkte nur stumm lächelnd die Lider.
    »Die Ehe macht durstig«, stellte er einmal fest.
    »Mir geht es ähnlich. Ich habe auch immer Durst«, erwiderte sie.
    Dass sein Durst von ihrem Schweigen rührte, dass er unentwegt die Löcher stopfte, die ihre Wortkargheit riss, sagte er nicht. Ebenso wenig fragte er, weshalb sie sich beim Liebesakt schlafend stellte. Er wusste, dass ihr leises Stöhnen kein Ausdruck von Ablehnung oder Schmerz war, sondern von Lust. Die kaum hörbaren Laute, die ihren geschlossenen Lippen entwichen, erregten ihn. Erregten jede Pore, zogen ihn unweigerlich in ein tiefes, weites Meer. Sehnsüchtig wartete er auf die Dunkelheit. Die Augen geschlossen, erfüllt von Lust, gab er sich den sanften Wellen hin. Warme Luft umschloss ihn, hieß ihn für immer zu verweilen. Dann, auf dem Höhepunkt, fühlte sich alles an ihm spitz an. Er wollte mehr und mehr davon. Doch Milia, die Augen immer noch zugedrückt, schloss die Beine und drehte ihm hustend den Rücken zu. Sich selbst überlassen, raffte er sich samt seinem erschlafften Glied auf und ging ins Bad.
    Kaum hörte er ihr traumgefärbtes Stöhnen, schwebte er unwillkürlich zum Ausgangspunkt der Liebe zurück. Und sofort war ihm aus dem Sinn, dass er in jenem berühmten Zimmer Nr. 10 versagt hatte. Dass er seine Pflicht in der Hochzeitsnacht versäumt hatte. Aber er hatte beim besten Willen nicht mit ihr schlafen können. Von seinen Kräften restlos im Stich gelassen, hatte er sich sterbenselend gefühlt. Immerhin war er zuvor über eine Stunde durch Nebel, Schnee und Sturm geirrt, voller Angst, jeden Moment vom Wind erfasst und ins Tal geweht zu werden. Hinzu kam die Sache mit der Männlichkeit. Im Nebel war seine Männlichkeit selbstbewusst vorangegangen. Und er hatte sich ihrer Führung überlassen, unsicher hinterhertaumelnd, die Augen der kalten Nässe ausgesetzt. Er wollte die Augen schließen, um sie vor der eisig brennenden Kälte zu schützen. Er drehte sich um, versuchte Milia auszumachen. Aber er sah nur die schemenhaften Umrisse des Wagens, der sich langsam wie eine Schildkröte vorwärts schleppte. Dann mitten auf den Höhen des Dahr al-Baidar stieg der Chauffeur aus und verkündete, dass er keinen Meter mehr weiterfahren könne und auf der Stelle nach Beirut umkehren werde.
    »Dann fahre ich eben weiter«, schrie Mansûr und wollte schon zurück zum Wagen. Doch da saß der Fahrer bereits am Steuer und gab ihm mit Handzeichen zu verstehen, dass er folgen würde.
    »Das Schlimmste ist überstanden!«, rief Mansûr in den Sturm, und seine Worte zerstoben.
    In Wirklichkeit aber war nichts überstanden. Der Weg war äußerst gefährlich. Etliche Male glitt Mansûr aus. Auch das Auto geriet wiederholt ins Schlittern. Dann endlich lichtete sich der Nebel. Mansûr stieg in den Wagen. Milia schlief, eingehüllt in den Mantel ihrer Mutter. Sie fröstelte. Mansûr sprach sie an, wollte ihr ein Gedicht aufsagen. Eines von den vielen alten arabischen Versen, die er ausgesucht hatte, um sie zu rezitieren, wenn sie in ihrem Hotelzimmer mit Champagner anstießen, noch bevor er sie in die Arme schlösse. Ihm fielen aber nur diese beiden Verse ein:

    Unbezwingbar sind die Berge des Libanon,
    denn auch im Sommer herrscht dort Wind und Eis.
    Dichter Schnee verwischt den Weg vor Augen,
    düster und schwarz erscheint dann das klare Weiß.

    Milia öffnete die Augen und schloss sie gleich wieder. Offenbar hatte sie die Verse nicht verstanden, vielleicht nicht einmal gehört. Mansûr war enttäuscht. Die Poesie war sein Geschenk an sie. Alte arabische Liebesgedichte sollten das gemeinsame Leben einleiten. Er sei ein Dichter auf seine besondere Art, wollte er ihr sagen. Denn er könne unzählige Verse aus dem Gedächtnis aufsagen. Und für die Hochzeitsnacht hatte er überlegt, ihr eine ganze Tafel mit Gedichten aufzutischen. Er hatte sich genau ausgemalt, wie er sie überraschen wollte. Sie, die sein Herz erobert und ihn zum rastlosen Wanderer gemacht hatte. Er wollte ihr mit dem Champagnerglas in der Hand einen Teppich aus Worten zu Füßen legen.
    Mansûr wusste nicht, dass diese flüchtige Begegnung im Garten sein Leben auf den Kopf stellen und ihn auf ein

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