Als schliefe sie
wiederholte Mûsa.
»Gott schenke uns seinen Segen«, sagte Mansûr mit bebender Stimme und stand auf, um zu gehen.
Gähnend erhob sich die Mutter und wollte ihn gerade verabschieden, als Milia sich zu Wort meldete.
»Setzt euch«, sagte sie. »Er hat seinen Kaffee noch gar nicht ausgetrunken«, fuhr sie, an die Mutter gerichtet, fort und zog sie am Arm zurück in den Sessel.
Mansûr setzte sich auf die Sesselkante, wie um jeden Augenblick wieder aufzuspringen, und nippte an seiner Tasse. Milia nahm ihm gegenüber Platz und sah ihn neugierig an, als erwarte sie etwas von ihm zu hören.
»Weißt du«, sagte Mansûr.
»Ich weiß«, unterbrach Milia. »Die Umstände… Und man muss…«
»So war das nicht gemeint«, unterbrach er sie und verstummte abrupt.
Stille folgte, nur kurz von Mûsa gestört, als er den Raum verließ. Die Flamme der Öllampe flackerte. Milia trug ein gelbes Kleid. Die Wangen in die Hände gestützt, wartete sie auf das, was Mansûr gleich sagen würde. Leise ging die Mutter hinaus. Und dann kehrte vollkommene Ruhe ein.
Auch er würde sich im letzten Moment zur Flucht entschließen, wollte Milia sagen, tat es aber nicht. Ein trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen. Hastig wischte sie mit der Hand die schattenhaften Erinnerungen fort, die sich in ihre Augen geschlichen hatten. Zum ersten Mal saß sie mit dem Mann, der wenige Stunden später ihr Ehemann sein sollte, in einem halbdunklen Zimmer. Sie spürte seine Beklommenheit. Wie sollte sie ihm beibringen, dass sie es genau gewusst hatte? Gewusst hatte, dass er an diesem Abend zu Besuch kommen würde, um ihnen mitzuteilen, dass seine Familie nicht aus Jaffa anreisen würde.
»Die Straße ist gesperrt. Das englische Militär hat die Straße vor drei Tagen gesperrt«, sagte sie.
Die Kaffeetasse in Mansûrs Hand zitterte. Er sah geisterähnliche Wesen über den Paternosterbäumen schweben. Wie es kam, dass sie so gut über die Ereignisse in Palästina unterrichtet war, fragte er nicht. Auch nicht, woher sie wusste, dass seine Familie nicht kommen würde. Er stellte die Tasse auf den Beistelltisch, dessen Rand kalligraphische Verzierungen in Kufi-Schrift 8 aufwies.
»Was steht hier?«, fragte er, nachdem er vergeblich versucht hatte, das Geschriebene zu entziffern.
»Keine Ahnung. Da musst du Mûsa fragen. Ich glaube, das ist aus einem Gedicht. Den Tisch hat er von einem Freund als Mitbringsel aus Damaskus bekommen.«
»Nein, das ist kein Gedicht«, widersprach Mansûr auf den Tisch starrend. »Das ist ein Vers aus dem Koran.«
Er rieb sich die Hände gegen die Kälte. Milia stand auf, legte ein Stück Holz in den Ofen und setzte sich wieder. Bald breitete sich eine angenehme Wärme im Raum aus, und Mansûr wurde etwas redseliger. Mit einer Handbewegung überspielte er seine Verlegenheit in der Annahme, sie vor Milia verbergen zu können. Dann nahm er ihre Hand, küsste den Türkisring an ihrem Finger, räusperte sich und sagte:
»Im Spaß rang ich mit einer Frau um einen Ring.
Sie war schön wie der Mond, der am Nachthimmel hing.
Doch als ich versuchte mit etwas Glück
ihr vom Finger zu ziehen das gute Stück,
schloss sie um die Kostbarkeit den Mund.
und so war verschwunden das Rund im Rund.«
Dann sprach er von seiner Liebe.
Es war Nacht. Draußen beugte sich ein Baum zum nächsten. Der Dezemberwind peitschte den Regen an die Fenster. Drinnen saß ein siebenunddreißigjähriger Mann in dem Raum, den die Schâhîns Dâr nannten. Hohe Wände. Die Decke aus braunem Holz. Von ihr herab hing eine Petroleumlampe. In der Ecke ein wärmender Ofen. Vier Sessel mit blau-schwarz gestreiften Bezügen. Ihm gegenüber eine vierundzwanzigjährige Frau in Sonnengelb, Gesicht und Finger milchweiß. Den Blick auf den Boden gerichtet, im Augenwinkel das Flackern der Öllampe, hing er seinen Phantasien nach. Er stellte sich ihre Arme vor, nackt und weiß. Sich die Hände reibend, nahm er Anlauf zum Reden. Er sprach leise. Leicht vorgebeugt, wie er dasaß, fiel sein kleiner, über den Ledergürtel quellender Bauch nicht auf. Was aber sofort ins Auge fiel, waren die etwas eingefallenen Schultern und das runde, dunkle Gesicht mit buschigen schwarzen Brauen und schwarzem Schnurrbart.
Als Milia ihn zum ersten Mal sah, hielt sie ihn für ihren Bruder Mûsa. Und nur aus diesem Grund hat sie ihn zum Ehemann genommen. Das zumindest behauptete sie Mûsa gegenüber. Die Wahrheit allerdings lautete anders. Wie Mûsa sah Mansûr nur von Weitem, im
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