Als schliefe sie
Dunkeln oder bei schwacher Beleuchtung aus. Am Tag jedoch waren die Unterschiede zwischen beiden nicht zu übersehen. Mûsa hatte feinere und weichere Gesichtszüge. Zwar waren auch seine Brauen buschig, doch sie hingen ihm nicht in die Augen und verfingen sich folglich nicht in den Wimpern, über die Milia so oft mit dem Finger gefahren war. Mûsa war mittelgroß, athletisch, hatte muskulöse Arme und nicht den geringsten Bauchansatz. Mansûr dagegen hatte schlaffe Arme und leicht hängende Schultern. Seine krumme Haltung fiel zu dem Zeitpunkt kaum ins Gewicht, sollte eines Tages aber zu seinem besonderen Merkmal werden. In späteren Jahren hieß er allgemein »der Mann mit den hängenden Schultern«. Mûsa hatte ein rundes, zum Kinn hin schmal auslaufendes Gesicht und einen langen Hals. Außerdem hatte er eine große Nase mit leichtem Rechtsdrall, so als sei das Nasenbein gebrochen. Mansûr dagegen hatte ein volleres Gesicht und eine große, ebenmäßige Nase, die ausgezeichnet mit den Lippen und dem schwarzen Schnurrbart harmonierte.
Wer die beiden nebeneinander sah, hielt sie auf den ersten Blick für Brüder, stellte dann aber schnell fest, dass Mansûr eine grobe Kopie von Mûsa war. Größte Ähnlichkeiten wiesen Stimme und Gesäß auf. Mûsa sprach melodisch, tief aus der Kehle. So auch Mansûr. Und dass Letzterer ein ebenso flaches, knochiges Gesäß wie ihr Bruder hatte, fiel Milia sofort auf, als Mansûr sich umdrehte und den Garten verließ. Das ist Mûsas Zwillingsbruder, dachte sie unwillkürlich, als sie ihn von hinten sah.
Sie registrierte Ähnlichkeiten wie Unterschiede und willigte ohne zu zögern in die Ehe ein.
Milia habe viel durchgemacht und müsse nach zwei fehlgeschlagenen Anläufen nun schleunigst unter die Haube, sagte die Mutter.
»Nazareth ist weit weg, Milia. Willst du da wirklich hin?«, gab Mûsa zu bedenken, obwohl er nichts gegen Mansûr einzuwenden hatte und ihn für einen »anständigen Mann« hielt.
Milia saß bei der kranken Mutter und hielt ihr tröstend die Hand.
»Der Teufel! Ich rieche den Teufel!«, drang plötzlich Schwester Mîlânas Stimme an ihr Ohr, und Weihrauchduft stieg ihr in die Nase.
Wie aus dem Nichts aufgetaucht, stand die Nonne auf der Schwelle und verstopfte mit ihrem Körper den Eingang. In der Hand ein messingnes Räucherfässchen, aus dem weiße Staubpartikel und ein durchdringender Geruch aufstiegen, suchte sie mit den Augen den Raum ab. Nach einer Weile ging sie langsam und mit jedem Schritt lauter atmend auf die Kranke zu.
»Der Teufel!«, rief sie, den Blick auf Milia geheftet. »Geh raus, mein Kind! Ich will deine Mutter behandeln.«
Gleichgültig sah Milia die Nonne an.
Zuvor hatte Doktor Naqfûr der Kranken einen Hausbesuch abgestattet, eine Bronchitis diagnostiziert und ihr ein Medikament verschrieben, das Saada aber nicht einnehmen wollte. Deshalb flößte die Nonne es ihr nun mit Gewalt ein.
»Sachte, sachte, Schwester!«, ging Milia dazwischen, als sie sah, wie Saada das bittere Mittel ausspuckte, ja erbrach. »Meine Mutter ist sehr geschwächt.«
»Ich weiß, ich weiß. Nikola war bei mir und hat es mir gesagt. Deshalb bin ich ja hier. So, und jetzt raus mit dir. Ich kann im Beisein des Teufels nicht arbeiten!«
»Was denn für ein Teufel?«
»Diese Frage solltest du dir am besten selbst einmal stellen! Frag dich selbst, frag deine Träume und all die Männer, die vor dir die Flucht ergreifen. Ich gebe dir den guten Rat, ins Kloster zu kommen und Buße zu tun!«
Milia traute ihren Augen nicht, als sie sah, wie die Nonne sich über die Kranke beugte, ihr einen ölgetränkten Wattebausch in den Mund steckte und ihn zu schlucken befahl.
»Sie kann nicht schlucken«, sagte Milia.
»Halt den Mund und geh raus!«
Milia hielt den Mund. Den Raum aber verließ sie nicht. Sie blieb stehen und beobachtete das Geschehen. Die Augen geschlossenen, würgte Saada die Watte hinunter und allmählich entspannte sich ihr Körper unter dem Gemurmel der Nonne.
Waren ihre Träume wirklich Teufelswerk?
Der Teufel niste sich immer nur in der Frau ein, weil ihr Körper schön und vollkommen sei, behauptete die Nonne.
»Gott hat die Frau vollendet erschaffen. Die Frau aber hat sich für den Makel entschieden. Man schaue sich nur einmal unsere liebe Jungfrau Maria an, gesegnet sei sie. Hat sie etwa einen Mann gebraucht, um zur Vollendung zu gelangen? Nein! Selbstverständlich nicht. Zur Vollendung gelangte sie durch den heiligen Geist. Denn vollendet
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