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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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ist sie an sich schon!«
    »Aber sind denn nicht alle Frauen die Jungfrau Maria?«, fragte Milia.
    »Fällt dir eigentlich gar nicht auf, Milia, dass du immer hässlicher wirst?«
    »Ich?«
    »Ja, du. Wieso kommst du nicht mit deiner Mutter in die Kirche? Dann treiben wir dir den Teufel aus!«
    Was hätte sie erwidern sollen? Etwa, dass sie die Kirche nicht ausstehen konnte? Dass es sie gruselte, wenn sie die Gläubigen im Weihrauchdunst sah. Sah, wie sie sich vor den byzantinischen Ikonen verneigten und mit den längst verstorbenen Frauen und Männern sprachen, die darauf abgebildet waren. Hätte sie sagen sollen, dass die Kirche sie an einen Friedhof erinnerte? Dass an diesem Ort die Trennung zwischen Lebenden und Toten aufgehoben zu sein schiene und ihr die Betenden deshalb vorkämen wie wandelnde Leichen? Dieser leichte Übergang ins Jenseits machte Milia Angst. Selbstverständlich ging sie, wie allgemein üblich, am Karfreitag in die Kirche, um den Gekreuzigten zu beweinen. Ansonsten aber betete sie allein zu Hause und ersuchte Gott im Stillen, ihr doch bitte die Türen des Lebens zu öffnen.
    Nein, Schwester Mîlâna irrte sich. Milias Träume waren kein Teufelswerk. Woher wusste die Nonne überhaupt von den Träumen? Ohne Frage von Saada. Seit dem Tod des Vaters war sie nämlich der Nonne gewissermaßen hörig. Ergeben wie ein Ring am Finger, gehorchte sie ihr aufs Wort. So trug sie alles, was sich in der Familie ereignete, unverzüglich der Nonne zu – wegen des Bußsakraments. Und das war eine eigenartige Angelegenheit.
    Die heilige Mîlâna war nicht nur Herrin über die Nonnen im Erzengel-Michael-Kloster. Nein, ihre Macht reichte bis zu dem Klostervorsteher, dem Priester Bûlus Sâba. Denn er hatte ihr die Durchführung des Bußsakraments übertragen. Gemäß dieser Regelung nahm sie den Frauen der Gemeinde die Beichte ab und verwies sie anschließend an ihn, worauf er die Absolution erteilte. Er selbst legte auch bei ihr die Beichte ab. Diese Praxis widersprach zwar allen kirchlichen Traditionen. Doch Schwester Mîlâna hatte aufgrund ihrer Heilkräfte und ihrer Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, Sonderrechte.
    So kam es, dass sie Einblick in sämtliche familieninternen Geschichten der Schâhîns bekam. Den vielsagenden Blick, den die Nonne bei jeder Begegnung aufsetzte, hielt Milia kaum aus. Denn er brachte eine Mischung aus Mitleid und Verachtung zum Ausdruck. Außerdem zeugte er davon, dass ihre Beziehung zu Nadschîb und Wadî’ enthüllt war. Milia fühlte sich nackt, sah ihr persönliches Geheimnis neben unzähligen anderen Geheimnissen im Kopf der Heiligen herumschwirren.
    Saada entspannte sich. Schweiß trat ihr aus allen Poren. Das Nachthemd war über und über von Öl befleckt.
    »Wenn ich gegangen bin«, wies die Nonne Milia an, »reibst du deine Mutter mit Spiritus ab. Das war’s dann. Sie ist geheilt.«
    Die Nonne ging, hielt vor der Tür aber noch einmal inne.
    »Milia!«, rief sie mit ihrer fiepsigen Stimme.
    »Ja«, antwortete Milia.
    Die Nonne legte die Hand auf Milias Schulter und beugte sich zu ihr hinab.
    »Keine Sorge«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Der Bräutigam kommt schon noch. Eine Reise steht bevor. Ich sehe es ganz deutlich. Aber du musst Vernunft annehmen. Und beten musst du, damit Gott dich vor großer Sünde bewahrt. Schlag dir Nadschîb aus dem Kopf. Auch diesen anderen Kerl, dessen Namen ich nicht weiß. Es wird bald ein Bräutigam kommen. Keine Sorge. Vor allem aber musst du die Sache mit den Träumen einstellen. Fromme Menschen träumen nicht, mein Kind. Und sollten sie doch einmal träumen, dann erinnern sie sich nicht daran. Und sollten sie sich doch einmal erinnern, dann behalten sie es für sich. Die Nacht ist eine Reise ins Dunkle zur Vorbereitung auf den Tod. Nur Propheten und Heilige haben nachts Visionen. Gewöhnliche Menschen dagegen versinken beim Schlafen im Dunkeln. Der Herrgott, gepriesen sei er, hat den Schlaf erschaffen, um den Menschen auf den Tod vorzubereiten. Nacht und Tag sind zwei getrennte Welten. Gott ist das Licht. Und der Teufel ist die Finsternis. Du musst deine Träume vergessen, mein Kind. Ich bin mir sicher, dass der Herrgott dir dann Glück und Zufriedenheit schenkt.«
    »Aber ich…«
    Laut hustend fiel ihr die Nonne ins Wort und sagte:
    »Mit Träumen lockt Satan den Menschen in die Sünde. Im Übrigen bist du eine schamlose Lügnerin. Kein Mensch kann all seine Träume behalten. Deine Mutter steht jeden Morgen entsetzliche Ängste

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