Als schliefe sie
griff in die Schüssel und aß sie leer.
»Iss nicht so viel! Das ist ungesund. Die Dinger sind nur da, um den Gaumen ein wenig zu verwöhnen«, sagte sie. »Dieses Rezept habe ich selbst erfunden. Es war reiner Zufall. Einmal, ich hatte den Qatâjif-Teig schon gemacht, stellte ich fest, dass weder Nüsse noch Mandeln im Haus waren. Da kam ich auf die Idee, für die Füllung Pinienkerne zu nehmen. Pinienkerne sind zart und haben einen dezenten Geschmack, der sich nicht sofort auf der Zungenspitze ausbreitet. Der Geschmack entfaltet sich erst nach einer gewissen Zeit. Zuerst hatte ich die Befürchtung, dass meine Brüder die Taschen verschmähen würden. Vor allem Nikola. Nikola ist nämlich grob und liebt grobe Dinge. Mûsa ist da ganz anders. Kaum hatte er die Qatâjif gekostet, schloss er die Augen und gab solche Laute von sich wie du. Jedenfalls waren am Ende alle völlig begeistert. Und ganz besonders die Nonne. Die Heilige der Bäuche. Ich habe noch niemanden gesehen, der so genussvoll isst wie sie. Es ist, als würde ihr ganzer Körper von Lust überwältigt werden. Als würden ihre Finger und Hände mitessen.«
Schwester Mîlâna bat Saada, keine von Milia bereiteten Speisen mehr ins Kloster mitzubringen. Trotzdem konnte Saada es nicht lassen und erschien bei den Nonnen immer mit einer Papiertüte in der Hand. Darin allerlei Leckereien, die sie zu Hause heimlich eingesteckt hatte. Auf die Mitbringsel stürzte sich Schwester Mîlâna im wahrsten Sinne des Wortes, schlug dann ein Kreuz und trällerte byzantinische Gesänge, die von der heiligen Jungfrau handelten.
Das Erzengel-Michael-Kloster war Saadas Zuflucht. Dort fand sie Entspannung. Die Schmerzen ließen von ihr ab. Und die Seele fand Erleichterung von körperlicher Last. Indessen war das Haus zu Milias Spielfeld geworden. Die drei älteren Brüder übten ihre männliche Macht über sie als Frau aus. Der kleine Mûsa dagegen sah in ihr eine Mutter. Milia war glücklich in beiden Rollen, die sie zu einer Frau und Mutter und damit zum Mittelpunkt des Familienlebens machten.
Zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters musste Milia wohl oder übel von der Schule abgehen. Jûsufs Tod hatte das Leben der Familie auf den Kopf gestellt. Nur Salîm, der Erstgeborene, behielt seinen alten Lebensrhythmus bei. Dank Nikola, Nikolas Entschlossenheit. Nikola setzte den Tarbûsch seines Vaters noch am Tag von dessen Tod auf und erklärte, dass er die Schule aufgeben und das Geschäft übernehmen würde. Nikola, siebzehn Jahr alt, war zwar kein herausragender Schüler, hatte aber immer das Soll erfüllt.
»Wenn Nikola sich opfert, dann will ich mich auch opfern!«, sagte Abdallah. »Ich verlasse die Schule.«
Wortlos lächelte die Mutter. Alle in der Familie wussten, dass das nichts mit Aufopferung zu tun hatte. Denn es war bereits beschlossene Sache, dass Abdallah von der Schule abgehen und mit ins Geschäft des Vaters einsteigen sollte, weil er in der Schule nicht sonderlich erfolgreich war.
Keiner hätte sich je träumen lassen, dass Milia eines Tages gezwungen sein würde, die Schule aufzugeben. Auch dass Mûsa nicht, wie geplant, die Universität besuchen, sondern als Buchhalter im Schâti’-Hotel in Tiberias arbeiten würde, weil das Geschäft zu wenig für die Familie abwarf, lag außerhalb jeder Vorstellung. Milia hatte keine andere Wahl. Denn nach dem Tod des Vaters brach im Haus die Hölle los. Saada erkrankte. Plötzlich war ihr rechter Arm gelähmt, und sie hatte ein taubes Gefühl in der Wange. Von den Schultern abwärts bis in die Füße tat ihr alles weh. Ihrem Leid ausgeliefert, stieß sie unablässig Vokale aus. Aa, Au, Ai. Milia war überzeugt, dass die »schwachen Laute«, wie Vokale in der arabischen Grammatik heißen, für den Ausdruck von Schmerz zuständig sind. Und da im Arabischen diese Laute am Wortende, das wusste sie aus der Sahrat-al-Ihsân-Schule, sinnzusammenhängende Worte wie Brücken lautlich verbinden, birgt die »Schwäche« eine Kraft. Denn sie vermag Inhalte zu verdichten und zu komprimieren. So hatte sie es bei ihrem Lehrer, Kamîl Samâra, gelernt. Darüber hinaus hatte Kamîl Samâra, ein alter weißhaariger Mann, sie in die Welt der alten Poesie eingewiesen. Seinen mitgebrachten Proviant mittags vor sich auf dem Lehrerpult ausgebreitet, schwelgte er in Vorträgen über Literatur. Sein Unterricht glich einem im Meer der Sprache schaukelnden Boot. In Milia sah er die Literatin der Zukunft. Denn sie war die einzige Schülerin, die
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