Als schliefe sie
fürchteten ihre Brüder vor allem eines. Dass Milia früh heiraten und sie selber zu Geiseln der Mutter würden. Geiseln ihrer Kost, die nicht schmeckte, und ihrer unheilbaren Krankheiten.
Doch dann kam alles anders als erwartet. Nach einer kurzen Episode mit Wadî’, dem Bäcker, fand sich Milia in einem neuen Zustand wieder. Einsam wartend auf Nadschîb, der kurze Zeit später wieder aus ihrem Leben verschwinden sollte.
Milia hatte keine Ahnung, weshalb Wadî’ so häufig zu ihnen kam. Tagaus, tagein, voll Mehl, stattete er den Schâhîns einen Besuch ab und war schließlich fester Bestandteil des abendlichen Familienrituals. Eingeläutet stets um sechs Uhr mit einem sogenannten osmanischen Kaffee, einem süßen, mit Orangenblütenwasser aromatisierten Mokka. Seinen Höhepunkt erreichte der Abend um halb neun, wenn Milia zu Tisch bat. An dieser Stelle legte Wadî’ jedes Mal eine gewisse Unruhe an den Tag, so als wolle er aufbrechen. Auf Salîms Drängen und von dem köstlichen Duft wie verzaubert, blieb er dann doch. Am Ende klagte er über Gewichtsprobleme. Er habe in letzter Zeit entsetzlich zugenommen, monierte er, weil er nach dem Abendessen bei den Schâhîns ein zweites Mal zu Hause esse, um seine Mutter nicht zu enttäuschen.
Milia wusste, dass sie Wadî’ nicht heiraten würde. Er war viel zu klein und dick für ihren Geschmack. Die Fleischmassen, die sich unter dem Hemd stauten, ekelten sie. Außerdem fand sie den Geruch von Mehl abstoßend. Milia konnte sich nicht erinnern, dass er je das Gespräch mit ihr gesucht hätte. Stets kam er mit Brot und Gebäck aus der Bäckerei an, die er von seinem Vater geerbt hatte, er gesellte sich sofort zu ihren Brüdern und benahm sich wie einer von ihnen. Einmal allerdings wagte er sich weiter vor. Unter dem Vorwand, Durst zu haben, folgte er ihr in die Küche. Und dort sagte er, dass sie eine fantastische Köchin sei und er sich auf die Zeit freue, wenn sie nur noch für ihn kochen würde.
Alle dachten, dass Wadî’ Milia heiraten würde. Wadî’ aber äußerte sich nicht dazu. Nachdem er sechs Monate lang tagtäglich die Schâhîns besucht hatte, fragte ihn Saada schließlich, wann seine Mutter ihr endlich einmal die Ehre erweisen und sich vorstellen würde. Wadî’ stieg die Schamröte ins Gesicht. Er räusperte sich und stellte ein vages »bald hoffentlich« in Aussicht.
Darauf war alles zu Ende.
Sie weine Wadî’ keine Träne nach, sagte Milia zu Mûsa. Sie hätte sich ohnehin nicht vorstellen können, seine Frau zu sein.
»Ich war entsetzt, als ich ihn einmal zu Hause besuchte«, erzählte Milia ihrer Mutter. »Ich war kaum eingetreten, da führte mich seine Mutter ins Schlafzimmer und zeigte mir ein großes Bett aus massiver Eiche. ›Das ist mein Ehebett‹, sagte sie. ›Mein verstorbener Mann und ich waren wohl das erste Paar in ganz Beirut, das in einem Bett geschlafen hat. Das wird mein Hochzeitsgeschenk an dich und Wadî’ sein‹, versprach sie. ›Wie? Wir sollen in einem Bett schlafen?‹, rief ich entsetzt.«
Als Milia das Hotelzimmer betrat und dort nur ein Bett stehen sah, klang ihr Umm Wadî’s Stimme in den Ohren. Und in die Nase stieg ihr der Geruch von altem Holz. Sie wusste nicht, wohin sie sich setzen sollte. Dass sie verunsichert war, entging Mansûr. Denn er war damit beschäftigt, die Champagnerflasche zu öffnen. Später im Bett hielt Milia Abstand zu Mansûr. So viel Abstand, dass sie seine Anwesenheit nicht spürte, außer in dem Traum, den sie im Nachhinein den Ehetraum nannte. Sie hörte, dass die Badezimmertür aufging, ließ die Augen aber geschlossen. Ruhig atmend tauchte sie in einen Traum. Einen Traum ohne Bilder und Worte. Bestehend nur aus Farben und einem sonderbaren Gefühl. Dem Gefühl, dass die Welt sich schließt und öffnet, sich zusammenrollt und streckt, sich hebt und senkt. Sie hatte das Gefühl, als wüchse ihr Gesicht in die Länge und Breite, als steckten in ihren Augen unzählige Augen, als schwömme sie in der Farbe Blau, vom Blau regelrecht aufgesogen. Unvermittelt zerplatzte der Traum. Sie fror an den Schenkeln. Der Mann entfernte sich. Sie rollte sich zusammen. Hitze stieg aus ihrem Bauch auf und ballte sich zu Lichtkreisen zusammen. Dann saß sie wieder im Auto.
Milia wollte unbedingt zwei Betten im Schlafzimmer. Mansûr verstand nicht, warum sie mit solcher Vehemenz darauf beharrte. Er hatte ohnehin zwei Betten angeschafft, weil ihm nie in den Sinn gekommen wäre, mit seiner Frau in einem
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