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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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eine Krone auf. Sie hörte weder zu, noch sagte sie etwas. Sie schwieg einfach nur. Also behalf er sich mit Poesie. Er brauchte nur ein Gedicht zu rezitieren, und schon horchte sie auf und hatte ein Leuchten in den Augen.
    »Das Gedicht ist wie ein Gebet«, schwärmte sie, wenn er zu Ende gesprochen hatte.
    Als wären die Worte in Weihrauch aufgegangen, sah Milia eine Dunstwolke über dem Tisch. Berauscht von dem Weihrauchduft, der sich im Raum ausbreitete, verschmolz Milia mit den Versen, die Mansûr von den Lippen sprudelten.
    Sie habe von Weihrauch geträumt, sagte sie und verstummte mitten im Satz, wie immer, wenn sie ihm einen ihrer Träume erzählen wollte. Denn sie sah, wie in seinen Augen die Angst aufzog. Nur einen einzigen Traum hat sie ihm vollständig wiedergegeben. Das war drei Monate zuvor. An jenem Morgen hatte Mansûr eine Entdeckung an ihr gemacht. Ihre Schultern, aus dem Ausschnitt des blauen Nachthemds geglitten, waren, das nahm er zum ersten Mal war, anmutig weich gerundet. Er folgte ihr in die Küche. Während sie Kaffee und Frühstück bereitete, trat er von hinten an sie heran, legte ihr die Arme um und drückte sie an sich. Sie wehrte ihn nicht ab wie sonst in solchen Situationen. Sich eng an sie schmiegend, stieg ihm aus den Lenden die Lust hoch bis in die Schultern. Er fuhr mit den Händen unter das Nachthemd und hob es, immer höher. Geblendet von ihrem strahlenden Weiß, schloss er die Augen und wiegte sich, die Hände auf ihren Hüften, in der Umarmung. Er spürte, wie sie sich der Bewegung hingab. Sie fühlte sich geschmeidig und warm an, und sie sprühte geradezu vor Zärtlichkeit.
    »Aua«, schrie sie unvermittelt, drehte sich um und schob ihn sanft von sich.
    »Ich bin schwanger«, sagte sie.
    »Was?«
    »Ich habe geträumt, dass ich schwanger bin«, sagte sie.
    Er lächelte und näherte sich ihr. Erneut schob sie ihn zurück.
    »Ich bin schwanger.«
    »Seit wann?«
    »Seit heute.«
    Sie stellte die Kaffeekanne auf den Tisch und fing an zu erzählen. Angestrahlt von dem Sonnenlicht, das durch das Fenster hereinschien, wirkte ihr Gesicht rund und ihre Augen groß. Mansûr bekam weiche Knie. Er setzte sich. Ihm fielen die Lider zu, und Dunkelheit brach über ihn herein.
    »Großmutter«, sagte Milia. »Oma Malika ist gekommen und hat sich hier zu mir aufs Bett gesetzt. Ich lag in einem großen Bett. Mir war, als würde ich auf dem Wasser treiben. Großmutter saß neben mir. Sie war jung. Gott, sah sie meiner Mutter ähnlich! Zuerst dachte ich, sie sei meine Mutter. ›Was tust du hier, Mutter?‹, fragte ich. ›Ich bin nicht deine Mutter‹, sagte sie. ›Deine Mutter ist in Beirut. Ich bin gekommen, um dir eine Geschichte zu erzählen.‹ ›Jetzt ist kaum der richtige Zeitpunkt für Geschichten‹, sagte ich. ›Du siehst doch, wie ich lebe. Ich habe niemanden, ich bin hier ganz allein.‹ ›Ich bin gekommen, um dich aus dem Schlaf zu wecken‹, sagte sie. ›Aber bevor du erwachst, sollst du ein Geschenk von mir bekommen.‹ Sie griff in ihren Ausschnitt und holte eine kleine Marienikone heraus. ›Die musst du immer bei dir tragen. Sie beschützt dich‹, sagte sie. Ich nahm die Ikone, wusste aber nicht, wohin damit. ›Leg sie auf den Bauch‹, forderte sie mich auf. Also legte ich sie auf den Bauch. Ich hatte das Gefühl zu ertrinken. ›Ich ertrinke. Was soll ich tun?‹, fragte ich. ›Nimm meine Hand‹, befahl sie. Ich streckte den Arm aus, konnte ihre Hand nicht erreichen. Ich wollte schreien, bekam aber keinen Ton heraus. Dann ging ich unter. Ich war unter Wasser, hatte das Gefühl zu ersticken. Wie aus dem Nichts tauchte eine Frau mit blauem Tuch auf und trug mich fort. Kurz darauf lag ich am Strand. Dort gab es viele Fische. Sie hoben den Kopf aus dem Wasser, schnappten nach Luft und tauchten wieder unter. Die blaue Frau saß neben mir. Sie flüsterte mir etwas ins Ohr. Aber ich verstand kein Wort. Sie wisperte kaum hörbar. Nur ein einziges Wort habe ich verstanden: Tiberias. Da begriff ich, dass ich mich am Ufer des See Genezareth befand. Die blaue Frau schloss die Augen. Ich hatte das Gefühl, gleich einzuschlafen und nie mehr zu erwachen. Ich bekam rasende Angst. Plötzlich fiel mir ein, was meine Großmutter immer über Träume und den Tod gesagt hatte. Es ist aus mit dir, Milia, dachte ich. Du wirst gleich ertrinken. Aber es passierte nichts. Ich bekam unter Wasser Luft. Ich konnte ganz normal weiteratmen. Und ich sah Farben. Die blaue Frau war noch bei mir. Sie

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