Als schliefe sie
ihnen Süßigkeiten geschenkt, religiöse Filme gezeigt und sie verpflichtet, die lateinische Messe zu besuchen. Salîm sei ganz versessen auf das Kino gewesen und habe seine Geschwister zu einem Film über die Leiden Jesu Christi mitgenommen, musste aber enttäuscht hinnehmen, dass sie seine Begeisterung nicht teilten. Statt das Spiel von Licht und Stimmen fasziniert zu verfolgen, seien Nikola und Abdallah während der Vorstellung eingeschlafen. Er selbst sei, von den überdimensionalen Bildern auf der Leinwand völlig verängstigt, in Tränen ausgebrochen. Als Einzige habe Milia Geschmack am Kino gefunden. Bruder Eugen habe Salîm jedoch deutlich gemacht, dass die Sonntagsschule nur für Jungen sei und Milia folglich nicht teilnehmen dürfe.
Mûsa habe angeboten, Milia nach Hause zu begleiten, weil er sich ohnehin fürchtete. Milia aber habe ihn in die Vorstellung geschickt und sich allein nach Hause begeben.
Bruder Eugen habe in Salîm eine »Gans« 16 gefunden. Mansûr kannte den Ausdruck nicht, tat aber so, als habe er verstanden. Er ärgerte sich jedes Mal über sich selbst, wenn Milia ihn wütend ansah, weil er um Erläuterung eines Begriffes bat.
»Du kannst wohl kein Arabisch!«, kommentierte sie.
Also gab er immer vor, alles zu verstehen, auch wenn das nicht der Fall war. In Nazareth nahm Milia nicht den Dialekt ihres Mannes oder ihres neuen Wohnorts an, sondern behielt ihren gewohnten bei. Beiruter formen die Worte in der Regel mit schwerer Zunge, wobei der vorherrschende Vokal »e« das Gesagte klanglich nach unten verzerrt. Milia dagegen hatte einen gewissen melodischen Singsang in ihrer Aussprache. Zwar behielt sie den Beiruter Dialekt bei, doch statt vollmundig zu sprechen, artikulierte sie mit den Lippen eher fein und zart.
»Du sprichst überhaupt nicht wie die Leute aus Beirut«, bemerkte Mansûr.
»Ich?«, fragte sie mit typischem Beiruter Tonfall.
Mansûr fragte nicht, was das Wort »Gans« bedeute, das häufig im Zusammenhang mit Salîm fiel. Im Übrigen konnte er das einvernehmliche Entsetzen der Familie über Salîms Übertritt zum Katholizismus nicht nachvollziehen.
»Ist doch alles eins!«, sagte er und erntete dafür strafende Blicke von der Mutter.
»Gott ist griechisch orthodox!«, sagte sie spitz, wie immer, wenn man sie auf die neue Religionszugehörigkeit ihres Sohnes ansprach.
»Aber wir sind keine Griechen«, hätte Mansûr am liebsten in Anlehnung an einen Priester aus Jaffa gesagt. Diesen Satz hatte jener Priester vor dem Hintergrund der in Palästina erwachten Empörung über die Herrschaftsansprüche der griechischen Clique in der Orthodoxen Kirche zu Jerusalem geäußert.
»Das Wort ›Grieche‹«, so wiederholte Mansûr Pater Jûhanna Âzârs Worte, »war ursprünglich ein Schimpfwort, mit dem die Anhänger der syro-aramäischen Kirche uns, also die Griechisch-Orthodoxen, betitelten, um uns als Kollaborateure des byzantinischen Staats zu bezeichnen. Aber nein. Wir sind orthodoxe Araber. Also Araber, die sich für den Glauben an die zwei Naturen von Jesus Christus – die göttliche Natur und die menschliche Natur – entschieden haben. Und die Bezeichnung ›griechisch‹ haben wir übernommen, weil wir so töricht waren, die Beschuldigung unserer Feinde zu übernehmen.«
Mansûr erläuterte Saada und Milia ausführlich Pater Jûhanna Âzârs Argumentation. Doch Saada fing an zu gähnen. Und Milia gab sich, auf ihre Hand gestützt, einem stillen Schlummer hin. Mansûr brach ab, stand auf und ging ins Hotel Amerika in der Schreinergasse, wo er während seiner Aufenthalte in Beirut wohnte, die, seit er verliebt war, merklich zugenommen hatten.
»Das, was man leidenschaftliche Liebe nennt«, sagte Mansûr, »habe ich nie erlebt. Richtig. Ich gehe auf die vierzig zu und hatte schon mit einigen Frauen zu tun – na ja, mit Huren in Jaffa und in Beirut – und ich habe…«
»Verschone mich mit diesem Dreck!«
»Wieso? Ich habe doch nichts Schmutziges oder Unanständiges gesagt«, wehrte Mansûr ab.
»Hör auf, bitte!«
»Gut, ich höre auf«, lenkte er ein. »Aber eines sage ich dir. Wir in Palästina haben keinen so derben Umgangston, wie er hier üblich ist. Die Männer hier fluchen unentwegt. Kaum sprichst du einen an, beschimpft er dich im Spaß: ›Na wie geht’s, alter Hurenbock.‹ Damit will er dir zum Ausdruck bringen, dass er dich mag. Anfangs bin ich damit überhaupt nicht klargekommen. Ich war mehrmals drauf und dran, einen Streit vom Zaun zu brechen.
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