Als schliefe sie
Aber dann habe ich mich daran gewöhnt. Und jetzt ist es in Ordnung. Man soll sich nicht unnütz aufregen, mein Schatz.«
Er wollte mehr sagen. Sagen, dass er früher nur eines gespürt hat. Jenes brennende Verlangen, das Gott dem Mann eingepflanzt hat, das sich wie ein Streichholz entzündet und im Nu zum Flächenbrand wird. Zuerst noch ein leises Lodern im Unterleib, greift es schnell auf den ganzen Körper über, dass man nicht anders kann. Doch dann hat er sie gesehen. In dem Augenblick spürte er sein Herz fallen. Seither hatte sich das Feuer verändert. Es brannte immerzu, ohne zu erlöschen. Er wollte ihr außerdem noch Folgendes sagen: Auch wenn er mit dem Gedanken an sie masturbierte, legte sich das Feuer nicht. Nein, ganz im Gegenteil, er verbrannte sich sogar die Hand daran. All das aber sagte er nicht. Um sie nicht zu verärgern und um die Striemen an ihrem Hals nicht zu reizen. Denn sobald sie sich über ein Wort oder eine Bemerkung aufregte, zeigten sich an ihrem Hals Striemen. Drei rote Stiemen, die sich bis zur Brust hinabzogen.
»Daran ist die Nonne schuld«, antwortete sie einmal auf seine Nachfrage.
Sie ging ins Bad, wusch die Stelle und kam mit strahlend weißem Hals zurück.
»Das ist die Farbe der Liebe«, schwärmte er.
Mansûr verriet keinem, dass er im Hotel Amerika brennende Eifersucht verspürt hatte. Salîms unvollständige Geschichte war ihm eigenartig vorgekommen. Deshalb hatte ihn das Gefühl beschlichen, dass Milia etwas mit dem Bruch zu tun haben könnte, der die ganze Familie erschütterte. Was vorgefallen war, erfuhr er in allen Einzelheiten erst drei Monate nach der Hochzeit. Da begriff er, dass die roten Striemen die Verletzung markierten, die ein Mann namens Nadschîb Karam am Hals der geduldig wartenden Milia hinterlassen hatte.
»Dann hast du ihn geliebt?«
»Nein, es war nicht Liebe, sondern so etwas Ähnliches wie Liebe.«
»Was soll das heißen?«
»Wir waren mehr oder weniger verlobt. Dann ist er verschwunden. Verschuldet hat das, soweit ich weiß, Salîm. Salîm hatte sich in Angèle verguckt. Ihr Vater, der sich als Heiliger aufspielte, wollte sie nicht hergeben, bevor nicht ihre ältere Schwester unter die Haube gebracht wäre. Keine Ahnung, was dann geschah. Jedenfalls waren auf einmal Salîm und Nadschîb verschwunden. Sie haben eine Tischlerei in Aleppo eröffnet. Salîm traute sich nicht, uns reinen Wein einzuschenken. Mutter erzählte, er sei mit Angèle durchgebrannt und habe sie heimlich geheiratet. Das erzählte sie, obwohl sie die Wahrheit kannte. Von Schwester Mîlâna. Diese hatte ihr von einer Doppelhochzeit in Aleppo berichtet. Berichtet, dass beide Schwestern an ein und demselben Tag geheiratet haben. Berichtet, dass Salîm Nadschîb überredet habe, alles aufzugeben und mit nach Aleppo zu gehen, weil die Familie reich sei. So genau weiß ich das alles nicht. Mûsa kennt die Einzelheiten.«
Mûsa kam heim. Milia wartete auf ihn. Bei Kerzenlicht saß sie im Sessel in der Zimmerecke. Alle schliefen. Nur sie nicht. Von Trauer und Schmach bedrückt, wartete sie im Schutz der Dunkelheit. Ein Feuer loderte in ihr. Und ein Gefühl unendlicher Leere sackte ihr aus dem Herzen ins Becken. Eifersucht nagte an ihr, zerfraß sie. Sie wollte verstehen, wie und warum sich alles so gewendet hatte. Wollte verstehen, wie Nadschîb zwei Frauen zugleich lieben konnte. Sie sei überzeugt, dass Nadschîb sie liebe, sagte sie zu Mûsa und wollte Antwort auf die eine Frage: Liebte Nadschîb auch die Frau, die er geheiratet hatte?
Mûsa kam die Geschichte nur zerstückelt über die Lippen. Milia lauschte, ihr verschwamm alles zu Schatten vor den Augen. Nadschîb wurde zum Schatten seiner selbst. Die Hand, mit der er ihren Körper berührt hatte, zum schwarzen Schatten einer schwarzen Hand. Auch die Gefühlswallung, die ihm wie ein Reflex auf das strotzende Weiß ihrer Brüste buchstäblich aus dem Gesicht geplatzt war, nun nichts mehr als ein Schatten. Von der Geschichte, so sagte sie, seien ihr nur Fragmente in Erinnerung, die sich im Traum offenbarten. Was hätte sie erzählen sollen? Selbst die Annäherung im Garten, von der sie die roten Striemen am Hals davongetragen hatte, war in einen nebulösen Traum aufgegangen. Wie hätte sie Mansûr in jener Nacht also Antwort geben können? Warum wollte er eine tote Geschichte hören?
»Es gibt da einen wesentlichen Unterschied«, sagte Milia. »Geschichten lassen sich in zwei Arten unterteilen: Geschichten, die zu Ende
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