Als schliefe sie
den Pantoffeln. Da sprang plötzlich ein Kater zwischen ihren Beinen auf. Die Pantoffeln hatten sich in einen Kater verwandelt, der wie angestochen davonrannte. Milia lief ihm nach, drängte ihn im Zimmer in eine Ecke, stellte sich auf ihn, hörte ein geröcheltes Miauen. Da sah sie ihre Großmutter Hasîba, die eigentlich Habîsa hieß.
Warum Abu Saîd seine Tochter Habîsa, also »eingesperrt«, genannt hatte, konnte sich Saada nicht erklären. Vielleicht, weil seine Mutter so hieß. Aber warum hatte man der Mutter solch einen Namen gegeben? Fest steht jedenfalls, dass Milias Großmutter sich in Hasîba umbenannt hat und dass alle den neuen Namen akzeptierten. Nur ihre Schwiegertochter nicht. Noch über den Tod der Alten hinaus nannte Saada sie unbeirrt Habîsa und brachte Jûsuf damit jedes Mal gegen sich auf. Sie solle das gefälligst lassen, wies er sie mit bebender Stimme zurecht. Saada aber war Saada.
»Ich will sie Oma Hasîba nennen«, sagte Milia zu ihrer Mutter.
»Nenne sie, wie du willst, mein Kind. Aber sie heißt Habîsa. Gott hat sie erlöst. Und damit auch uns und den Kater.«
Was war mit dem Kater geschehen? Hatte Saada ihn wirklich vierundzwanzig Stunden nach dem Tod ihrer Schwiegermutter vergiftet? An die Tränen ihres Vaters hatte Milia keine Erinnerung. Davon wusste sie nur aus Saadas Erzählungen.
»Um den Kater hat er mehr geweint als um seine Mutter.«
Der Kater hieß Pascha. Hasîba hatte ihm diesen Namen gegeben, weil er etwas von einem türkischen Pascha hatte, wie sie fand. Blondes Fell, braune Augen, einen langen Schnurrbart und pummelig wie ein Schaf. Er war alt und durch eine Augenkrankheit, wahrscheinlich den grünen Star, halb blind. Aber nicht infolge seiner Sehschwäche stolperte er, so glaubte Saada, sondern weil er schon recht senil war. Er sei altersschwachsinnig und kaum mehr bei Sinnen. Statt wie Katzen sonst ein würdiges Verhalten an den Tag zu legen, urinierte und kotete er überall hin. Deshalb stank es im ganzen Haus erbärmlich. Saada wollte ihn davonjagen. Aus Mitleid mit der kranken Mutter aber setzte Jûsuf durch, dass das Tier unter seinem persönlichen Schutz im Haus blieb.
»Ich flehe dich an. Mutter verliert den Verstand!«
»Ist doch längst schon passiert!«
»Gott vergebe dir deine Gehässigkeit, Frau! Von heute an putze ich dem Kater hinterher.«
»Und wer putzt deiner Mutter hinterher?«
»Nicht so laut. Sie hört dich noch!«
Hasîba im Bett hörte alles, sagte aber nichts. Sie hatte sich »in die Wüste des Schweigens begeben, aus der es kein Zurück gab«. Milia hatte keine Ahnung, von wem diese Metapher stammte. Bestimmt von der Nonne. Sie hatte Hasîbas Schweigen nämlich »Wüste« genannt. Am Ende hätten alle Heiligen, so sagte die Nonne, die Wüste gewählt. Schwester Mîlâna war die einzige Person, die Hasîba Respekt entgegenbrachte und sich ehrfürchtig vor ihr verneigte. Wann immer sie zu Besuch kam, ging sie als Erstes zu der alten Frau ans Bett. Sie wischte ihr mit einem ölgetränkten Stück Watte über die Stirn und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf, ohne den geringsten Ekel vor dem Geruch zu zeigen, den die spröde Haut der Alten ausdünstete.
»Soll das heißen, dass Oma schon ans Bett gefesselt war, als ich geboren wurde?«, fragte Milia.
»Nein, mein Kind. Als du kamst, war sie bei bester Gesundheit. Sie schlief in dem Bett hier neben dem, in dem ich dich zur Welt gebracht habe. Aber sie hielt sich kaum im Haus auf, sondern war immer unterwegs. Und eines Tages, du warst ungefähr fünf Monate alt, brachte man sie heim. Sie sei auf der Straße hingefallen, hieß es. Und so, bewegungsunfähig, blieb sie dann, bis sie starb.«
»Und als sie starb, wo habe ich da geschlafen?«
»Du hast bei ihr im Zimmer geschlafen. Aber wir haben dafür gesorgt, dass du nichts mitbekommst. Weder du noch deine Brüder. Bis auf Salîm. Salîm kam zu uns ins Zimmer und sagte: ›Oma ist eiskalt.‹ Ich bin sofort aufgesprungen. Dein Vater blieb wie erstarrt liegen. Ich musste ihn anschreien, damit er mitkommt. Wir haben euch Kinder zu meiner Mutter gebracht und erst wieder geholt, als alles vorbei war und der Kater unter der Erde lag.«
Milia hatte keine Erinnerung an ihre Großmutter. Alle Bilder, die ihr von der alten Frau vorschwebten, entstammten den Erzählungen ihrer Mutter. Eine bruchstückhafte Geschichte, zusammengereimt aus Wortfetzen und zu Bildern geworden, die einen gewissen Teil ihrer Träume beherrschten.
»Ich muss aus
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