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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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diesem Traum raus!«, sagte Milia.
    Sie stand auf, öffnete die Zimmertür und rief den Kater. Der Kater rannte fluchtartig unter das Bett und fing an zu miauen. Sie kniete sich hin und lockte ihn. Der alte Kater hob den Kopf und ging in Kampfstellung, bereit, jeden Moment anzugreifen. Die kleine Milia wich erschrocken zurück. Der Kater hockte unter ihrem Bett im Lîwân. Die Großmutter beobachtete das Geschehen mit geöffneten Augen. Den Kopf auf den Knien auf zwei übereinandergestapelten Kissen abgelegt, saß sie wie zusammengeklappt im Bett, reglos, außerstande, den Oberkörper aufzurichten.
    Warum schlief sie in der Position?
    Milia sah von ihr nur den Rücken, die gequetscht helle Wange auf dem Kissen und weißen Schaum, der sich um die geschlossenen Lippen sammelte. So brachte Umm Jûsuf ihre letzten drei Lebensjahre zu.
    Eines Morgens erwachte Jûsuf und fand seine Mutter in dieser seltsamen Haltung vor. Sie wolle von nun an vorgebeugt schlafen, um den Tod fernzuhalten, erklärte sie.
    »Wenn ich auf dem Rücken schlafe, kommt der Todesengel Âzrâel und zieht mir die Seele aus dem Mund.«
    Hasîba glaubte, dass sie sterben würde, wenn sie auf dem Rücken lag, und dass sie dem Tod nur entrinnen könne, wenn sie sich zu einer Kugel machte. Den Kreis könne der Tod unmöglich durchbrechen, weil das Leben rund sei. Das soll sie, wie Jûsuf behauptete, gesagt haben. Doch keiner glaubte ihm. Denn wie hätte eine geistig verwirrte alte Frau zu derart philosophischen Gedankengängen fähig sein sollen?
    Sie starb aber doch. Kalt hockte sie im Bett. Den Oberkörper vorgeklappt, das Gesicht auf den beiden übereinandergeschichteten Kissen ruhend, die Beine angewinkelt und einen Blutfaden am Ohr. Hätte Saada nicht geistesgegenwärtig ihren Mann aufgefordert, mit anzupacken und die Tote ausgestreckt auf den Rücken zu legen, dann hätte Hasîba, in der Haltung erstarrt, in keinen Sarg mehr gepasst.
    Milia lockt den Kater. Er setzt zum Sprung an, kommt stattdessen aber, in einer Zickzack-Linie, torkelnd unter dem Bett hervor und kriecht in den Pantoffel.
    »Nein, nicht!«, rief Milia.
    Mansûr stand an ihrem Bett. Es war fünf Uhr und noch nicht dunkel. Milia hatte sich ins Bett gelegt, weil ihr der Bauch zu schwer geworden war. Sie wollte sich nur kurz ausruhen, wieder aufstehen und das Abendessen fertig haben, wenn Mansûr heimkam. Doch dann überkam sie jenes Kribbeln, das sie immer unwillkürlich in den Schlaf zog. Wellenartig einander folgend, setzten die Schmerzen ein und verflogen schließlich. Der Kater nahm die Gestalt eines Pantoffels an. Kaum schob sie den Fuß hinein, ertönte ein Kreischen.
    Milia öffnete die Augen und gab Mansûr mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er sie allein lassen solle.
    »Fünf Minuten, dann stehe ich auf«, sagte sie.
    Schlagartig war alles ausgelöscht, und sie versank in tiefer Dunkelheit. Ihr Bauch krampfte sich zusammen. Sie rollte sich ein, um den Schmerz zu lindern. Erneut tauchte sie in die Geschichte. Sie sieht den Kater sterben. Hört, wie der Vater schluchzt, während er den toten, in dunkles Papier gewickelten Kater in den Garten trägt und beerdigt. Der Kater hatte das vergiftete Futter gefressen, sich lautlos unter Hasîbas Bett verkrochen, alle viere von sich gestreckt und sein Leben ausgehaucht.
    Pascha war das letzte Kapitel in Hasîbas Leben, das sich im weißen Eisenbett abspielte. Sie saß, aus Angst einzuschlafen. Und kaum nickte sie ein, schrak sie panisch hoch, aus Angst vor dem Tod.
    Das Ende ihrer Tage brachte die alte Frau schweigend zu. Gestört wurde die Stille nur von rätselhaften Geistern, die durch das Fenster in ihr Zimmer schwebten. Seltsame Stimmen und ein unentwegtes Brummen tönten ihr in den Ohren. Als schwarzer Rauch umschwirrten die Geister sie im Bett und erzählten ihr von einer Vergangenheit, die nicht vergangen war, sondern fortbestand in Form von aufeinanderfolgenden Bildern in grauem Dunst und einem nicht endenden Brummen.
    »Hilfe, diese Stimmen«, schrie Hasîba unvermittelt. Sobald Saada aber zu ihr geeilt kam und fragte, was los sei, trieb die Alte wieder in die Wüste des Schweigens.
    Habîsa war die zweite Tochter von Nâsîf Haddâd, der mit Frau, vier Töchtern und einem Sohn 1860 vor den Massakern im Gebirge geflohen war. Nâsîf hatte das Haus, den vom Vater geerbten Seidenwebstuhl und den kleinen Gemüsegarten zurückgelassen und das Dorf Kfar Qatra im Schûf fluchtartig verlassen, um seine Familie vor dem Grauen zu

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