Als schliefe sie
retten, das in jener Zeit im Libanongebirge wütete. Unterwegs war der zwölfjährige Sohn Saîd verloren gegangen, auf dessen Rückkehr Nâsîf bis an sein Lebensende wartete. Tagaus, tagein verharrte er im Garten des Hauses im Beiruter Musaitba-Viertel. Niemals besuchte er jemanden. Denn er wartete. Morgen für Morgen erzählte er, dass er den Sohn im Traum gerochen habe. Saîd aber tauchte nie wieder auf. Die Töchter heirateten alle mit Ausnahme von Habîsa. Beharrlich lehnte sie jeden Brautwerber ab. Eines Tages willigte sie schließlich doch ein. Ihr Vater konnte es kaum fassen. Aber Habîsa hatte sich entschieden. Für den Zimmermann Salîm Schâhîn, der meist auf dem Platz vor der Erzengel-Michael-Kirche Hütchen spielte oder in der kleinen Kneipe neben der Kirche Arrak trank. Habîsa, zwanzig Jahre alt, immer ein langes schwarzes Kleid mit sieben Knöpfen am Leib, von Vater und Schwestern schon fast zur alten Jungfer erklärt, verblüffte alle mit ihrem Entschluss. Jahrelang hatte sie jeden Antrag ausgeschlagen und sich in einen Schleier aus Schweigen gehüllt. Sie kleide sich schwarz, hieß es, weil sie um ihren Bruder trauere und sich mit seinem seltsamen Verschwinden nicht abfinden könne. Vielleicht auch aus Protest gegen die Theorie ihres Vaters. Er glaubte, dass Saîd aus Abscheu vor seiner Heimat auf ein französisches Schiff gestiegen sei, sich in die neue Welt abgesetzt habe und eines Tages zurückkomme. Diese Geschichte hatte sich Nâsîf so zurechtgelegt, und er glaubte fest an sie. Sein ewiges Warten ging allen nahe. Habîsas Mutter dagegen starb sieben Monate nach der Ankunft in Beirut. Sie erlag dem Heimweh, einer im Libanon des 19. Jahrhunderts aufgrund von Migration, zahllosen Massakern und Katastrophen weit verbreiteten Krankheit. Drei Tage hatte sie in der kleinen, von Salîm auf Kirchenland erbauten Hütte darniedergelegen und dann ihr Ende gefunden. Die Töchter befürchteten, der Vater könne sich neu verheiraten. Er aber machte sich nichts aus Frauen. Schließlich wimmele es in Beirut, wie er sagte, nur so von Frauen, die aus den Bergen geflohen waren.
Er fand Anstellung bei dem Beiruter Seidenhändler Abdallah Abd an-Nûr und arbeitete an einem alten Webstuhl, den der Händler in einem Schuppen neben seinem Geschäft aufstellte. Nâsîf übte nun seinen Beruf wieder aus. Er hatte sein Leben zurück. Und das Dorf löschte er aus dem Gedächtnis.
Habîsa blieb im Haus mit ihrem Vater. Er kehrte spät nachts betrunken heim, aß eine Kleinigkeit von dem Essen, das sie zubereitet hatte, und legte sich schlafen. Hasîba hingegen durchwachte die Nächte, wie immer schwarz gekleidet.
Keiner kannte die Geschichte. Saada behauptete, gehört zu haben, wie Habîsa in der Frühphase ihrer Demenz einmal mit einem Mann ihrer Vorstellung namens Ferdinand Französisch gesprochen hatte. Darauf ging die Fantasie mit Saada durch. Sie malte sich eine heiße Liebesgeschichte aus. Ein französischer Offizier habe Habîsa die Ehe versprochen und sich kurz darauf, wie alle Soldaten es tun, aus dem Staub gemacht. Trug Habîsa womöglich Schwarz aus Trauer um ihre verlorene Liebe und vergeudete Jungfräulichkeit? Hatte der Mann sie mit seiner hellen Haut und seinen blauen Augen verzaubert? Hatte er sie in das Königreich der Träume entführt und sie dann sitzenlassen?
Saada fragte Schwester Mîlâna nach der Geschichte, wurde aber harsch zurechtgewiesen. Sie solle sich nicht in Dinge einmischen, die sie nichts angingen, sagte die Nonne. Gott allein kenne das Verborgene und die Geheimnisse des Herzens.
Was hatte sich zugetragen?
Saada fragte ihren Mann, was es mit Ferdinand auf sich hatte.
»Was sollen diese Lügen, Frau!«, schimpfte Jûsuf, die Stirn gerunzelt, sodass die buschigen Augenbrauen dichter zusammenrückten. »Das ist meine Mutter! Willst du etwa, dass ich solche Geschichten über deine Mutter verbreite?«
In der Nacht sprach Jûsuf seine Mutter darauf an, bekam aber keine Antwort. Wie geistesabwesend stierte sie in die Ferne. Doch dann sprudelten ihr unvermittelt fremdsprachige Worte aus dem Mund und schließlich auch der Name Ferdinand. Jûsuf fiel es wieder ein. Er erinnerte sich an das große Geheimnis, das seine in die Wüste des Schweigens entrückte Mutter im Herzen barg.
Hasîba hatte seinen Vater, wie Jûsuf wusste, in der Nacht geheiratet. Sie hatte sich ausbedungen, dass die Eheschließung mit Salîm Schâhîn nachts vollzogen würde, und bekam ihren Willen. Hasîba legte ein
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